Schwartz, S: Blutseelen 2: Aurelius
inzwischen bessere Medikamente, und die Chancen eine Umwandlung zu überstehen waren größer denn je, dennoch starben nach wie vor viele an den Folgen.
Er lehnte sich an den Stamm einer Eiche und sah auf eine Lichtung vor sich. Irgendwo in der Nähe plätscherte Wasser. Es musste ein Bach sein.
Er schloss die Augen, ließ den Wind über seine Haut streichen und dachte an jene Nacht zurück, als Edita und er auf dem Kirchturm gewesen waren. Wolken waren über ihn hinweggezogen. In dieser Nacht in Frankreich hatte kein Stern geschienen, und der Mond war eine schmale, blutrote Sichel gewesen, die nur hin und wieder zwischen den Wolken sichtbar wurde.
„Aurelius.“ Er hörte ihre Stimme, als würde sie neben ihm stehen, und tauchte in die Vergangenheit ein.
I N DER N ÄHE VON M ONTBÉLIARD
Edita sah mit strahlenden Augen zu ihm auf wie ein Kind, dem man ein besonders wertvolles Geschenk gemacht hatte. Ihr Mund war blutverschmiert. „Du hast es getan.“
Er schluckte und zwang sich, nicht vor den roten Lippen zurückzuweichen. Seine Arme umschlossen ihren Oberkörper. Sie standen wie ein Liebespaar auf dem Turm, unter dem stürmischen Himmel.
„Es wird wehtun“, flüsterte er.
„Ich spüre nichts. Mein Hals schmerzt kaum.“
„Das liegt an dem Gift, das mit dem Biss in deinen Körper gelangte. Es ist ein Betäubungsmittel, das dir den Glauben lässt, nicht ernsthaft verletzt zu sein.“ Seine Stimme wurde bitter. „Laut einigen Wissenschaftlern machen Insekten es auch so. Mit ihrem Stich schicken sie ein Gift in den menschlichen Körper, das die Haut taub werden lässt.“
Editas Körper verkrampfte sich. „Mir ist heiß.“
„Das ist das Fieber.“ Seine Stimme wurde dünn. Er ahnte, was kommen würde. Mit Edita im Arm sank er zu Boden und hielt sie wie ein kleines Kind. „Es geht bald vorüber.“
Das war eine Lüge. Je nach Umwandlung konnte das Fieber Minuten oder Stunden dauern. Gracia hatte erzählt, ihr eigenes Fieber habe fünf Tage angedauert. Die Wandlung hatte sie vorübergehend wahnsinnig gemacht, aber sie hatte überlebt und sich erholt. Deshalb gehöre sie zu den stärksten Vampiren.
Edita begann zu zittern. Ihre Glieder zuckten in seinen Armen. „Kalt. So entsetzlich kalt“, wimmerte sie.
„Das ist Schüttelfrost.“ Er fühlte, wie ihr Körper glühte. „Es geht bald vorbei.“ Seine Stimme brach.
Tatjena hatte es gesagt. Editas Chancen waren gering. Schon lange hatte er nicht mehr gebetet, aber in dieser Nacht tat er es, weil er keine andere Hoffnung sah. Er betete, es möge ein Wunder geschehen. Ja, er betete sogar, dass Tatjena gelogen hatte und Edita recht behalten würde. Dass Tatjena gar nicht in der Lage war zu riechen, ob das Blut für die Umwandlung tauglich war oder nicht. Bei Darion hatte es zwei Tage gedauert, doch seinem Bruder war die Gnade zuteilgeworden, in einen tiefen Schlaf zu fallen. Als er erwachte, war er gewandelt. Vielleicht würde das mit Edita geschehen. Vielleicht würde sie ihre Wandlung oder ihr Ende nicht spüren.
„Ich habe Angst“, brachte sie mühsam hervor. „Es ist kalt. So kalt wie der Tod.“
„Du wirst nicht sterben.“ Er musste lügen. Sie war nicht seine Liebe, aber sie war eine gute Frau. Seit Jahren stand sie treu zu ihm und hatte ihn unterstützt. Er verfluchte sich dafür, die Beherrschung verloren zu haben.
Ihr Zittern wurde heftiger. Sie krampfte. Vermutlich klumpte ihr Blut. Ein Schutzmechanismus. Aurelius wollte sich nicht vorstellen, was gerade in ihrem Körper geschah. Diesem Körper, der einst schön gewesen und noch immer hübsch war. Er hatte ihm die Verdammnis gebracht.
„Meine Brust ...“ Edita rang nach Atem. „Ich bekomme keine ... Luft ...“
„Sieh mich an.“ Seine Stimme war sanft und beruhigend, während in ihm ein Kampf tobte, der ihn zerriss. „Hör auf meine Stimme. Du wirst es nicht fühlen. Du wirst schlafen.“
„Schlafen“, wiederholte sie panisch, aber auch hoffnungsvoll.
„Ja, schlafen. Nur für eine Weile.“
Ihre Augen wurden glasig. Sie begann zu husten, aber sie reagierte nicht darauf. Ihre Hände hingen schlaff herab, während sie Blut spuckte. Aurelius wusste, dass seine Beeinflussung gelungen war. Edita war weit fort und bekam ihr Sterben nicht mehr mit. Sie zuckte und krampfte, kämpfte auf verlorenem Posten. Mehrere Minuten wand sie sich. Aurelius hielt sie fest und redete beruhigend auf sie ein. Sie hörte es nicht mehr.
Tränen liefen aus seinen Augenwinkeln, und
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