Schwarz auf Rot
Übersetzungsarbeit bezahlt worden war. Er war wir k lich überzeugt, daß das Projekt das kulturelle Leben der Stadt bereichern würde. Für eine sich rasch entwickelnde Stadt wie Shanghai war die Erhaltung des kulturellen Erbes von höchster Bedeutung, selbst wenn es bei der New World lediglich um vordergründigen Retro-look ging.
Für ein so groß angelegtes Projekt war ein mehrstö c kiges Parkhaus zweifellos nötig. Es wäre fatal für die Huaihai Lu und die angrenzenden Wohngebiete, wenn die Autos der New-World-Kunden dort alles zuparkten. Die Verkehrsbehörde täte gut daran, der Stadtregierung entsprechende Vorschläge zu unterbreiten.
Falls man Gu dieses Grundstück im Herzen der Stadt zum Zweck kultureller Erhaltung überlassen würde, dann würde er eine Menge Geld sparen, womöglich sogar Subventionen erhalten. Geschäftsleute mußten ihre Pläne bei der Stadtregierung einreichen, und die Behörden ve r anschlagten den Grundstückspreis gemäß der ausgewi e senen Nutzung. Für ein hochkommerzielles Unternehmen wie die New World, würde Gu eine große Summe hinl e gen müssen. Aber wie er Chen bereits anvertraut hatte, lautete seine Eingabe auf ein Projekt im Sinne kultureller Erhaltung. Hätte er in diesem Zusammenhang ein meh r stöckiges Parkhaus erwähnt, wäre das höchst suspekt gewesen. Aber als Nachtrag, versehen mit einer Empfe h lung der Verkehrsbehörde, könnte es genehmigt werden. Was Gu für die Übersetzung ausgegeben hatte, war ein winziger Bruchteil dessen, was er einzusparen hoffte, eine Feder, die man von einer Pekingente rupft.
Aus Sicht der Verkehrsbehörde bedeutete Gus Anfr a ge allerdings einen Verlust an Einnahmen. Ein großes modernes Parkhaus ließ zwar viele Fahrzeuge von den Straßen verschwinden, würde aber gleichzeitig so ma n chen Streifenpolizisten arbeitslos machen und zu geri n geren Bußgeldeinnahmen führen. Es w ar ihm klar, daß es nicht einfach werden würde, Gus Bitte zu erfüllen, und Gu wußte das ebenfalls.
»Vielleicht wäre es möglich, ein gutes Wort für die New World einzulegen«, sagte Gu geschmeidig.
Chen konnte sich immer darauf hinausreden, daß er einen geeigneten Augenblick abpassen mußte, aber er würde diese Ausrede vermutlich nicht einsetzen. Letzten Endes war er verpflichtet, Gu bei seinem Parkhausanli e gen zu helfen. »Ich werde ein paar Anrufe machen«, e r widerte er unbestimmt und beendete das Gespräch. »Ich rufe Sie dann zurück.«
Chen beschloß, erst einmal ins Krankenhaus zu gehen und dort die Rechnung zu bezahlen. Seine Mutter würde am Abend entlassen werden. Sie hatte sich schon Sorgen wegen der Kosten gemacht. Natürlich hatte er ihr nicht gesagt, wie hoch die Summe war; sein Übersetzungsh o norar würde dafür auf jeden Fall ausreichen. Auch das trug zu seiner Selbstrechtfertigung bei, sinnierte er, wä h rend er sich zur Zahlstelle des Hospitals aufmachte. In Zeiten der Marktwirtschaft machten auch Krankenhäuser keine Ausnahme, warum sollte er eine machen, wo er das Geld doch durch rechtschaffene Arbeit erworben hatte.
Zu seiner Überraschung erfuhr er, daß die Fabrik se i ner Mutter die Krankenhausrechnung bereits beglichen hatte. »Ist bereits erledigt, Genosse Oberinspektor Chen«, sagte die Buchhalterin mit breitem Grinsen.
»Genosse Zhou Dexing, der Fabrikdirektor, möchte, daß Sie ihn unter dieser Nummer zurückrufen.«
Chen wählte die Nummer von einem öffentlichen Fernsprecher in der Lobby des Krankenhauses. Am and e ren Ende ertönte die vertraute sonore Stimme des Geno s sen Zhou Dexing: »Unsere Fabrik steckt derzeit in einer Krise, Genosse Oberinspektor Chen. Unsere Volkswir t schaft ist im Übergang begriffen, und als Staatsbetrieb haben wir eine Schwierigkeit nach der anderen zu me i stern. Aber für eine altgediente Arbeiterin wie Ihre Mu t ter übernehmen wir selbstverständlich die Behandlung s kosten. Sie hat ihr ganzes Leben lang mit großem Einsatz für die Fabrik gearbeitet. Wir wissen, was für eine gute G e nossin sie ist.«
»Haben Sie vielen Dank, Genosse Zhou.«
Was für ein guter Genosse ihr Sohn ist. Jemand muß ihm einen Hinweis gegeben haben, dachte Chen. Doch wo immer seine Motive lagen, was Genosse Zhou getan und gesagt hatte, war politisch korrekt und hätte einem Leitartikel in der Volkszeitung gut angestanden.
»Und was die Zukunft anbelangt, so hoffen wir auch weiterhin auf die Unterstützung ihrer Mutter und natü r lich auf die Ihre, Oberinspektor Chen. Wir haben schon so
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