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Schwarz auf Rot

Schwarz auf Rot

Titel: Schwarz auf Rot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Qiu Xiaolong
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Sekretärin in seinem Apartment Anlaß zu ungewollten Schlußfolgerungen g e ben. Er würde mehr Zeit auf Erklärungen verschwenden müssen, als er durch ihre Arbeit gewann.
    Doch sie machte sich bereits nützlich, als wäre sie hier zu Hause. Nachdem sie die Jacke abgelegt hatte, spülte sie die Tassen und den Aschenbecher im Ausguß, ohne Aufträge von ihm abzuwarten.
    Vielleicht hatte Gu ihr Anweisungen gegeben.
    »Und was ist mit der Uni?«
    »Heute habe ich nur eine Vorlesung am Abend.«
    »Im Augenblick gibt es nichts zu tun für Sie. Dort auf dem Regal liegen Zeitschriften. Vielleicht möchten Sie etwas lesen.«
    »Das ist sehr nett von Ihnen, Oberinspektor Chen.«
    Es war ihm unangenehm, wenn sich jemand hinter seinem Rücken zu schaffen machte. Sie hatte begonnen, die Bücher auf dem Regal zu ordnen. Die Assoziationen, die er mit dem Begriff »kleine Sekretärin« verband, li e ßen sich nur schwer aus seinem Unterbewußtsein ve r bannen. Sie trug einen weißen Pullover mit ausladendem Kragen und weiten Ärmeln. Sehr modisch. Er fragte sich, ob dieser Stil einen Namen hatte. Da kam ihm eine Idee. Er war mit der Architektur der dreißiger Jahre nicht ve r traut. Wenn sie ein paar Photos von shikumen-Häusern und von den Gassen der alten Konzessions-Viertel m a chen könnte, würde ihm das sicher helfen. Er fragte, ob sie das für ihn tun könne.
    »Aber natürlich. Kann ich Ihren Wohnungsschlüssel bekommen? Für den Fall, daß Sie außer Haus sind, wenn ich zurückkomme.«
    »Hier.«
    Sie ging und ließ seinen Schlüsselring um den Finger kreisen; offenbar wußte sie, wo sie die gewünschten Aufnahmen machen konnte. Ihre sich entfernende Gestalt erinnerte ihn an eine »ziehende Wolke«, ein Bild von großer Vieldeutigkeit in der chinesischen Poesie. In di e sem Moment jedoch assoziierte er die Zeilen eines G e dichts von Feng Yansi, das er vor langer Zeit gelesen hatte: Eine ziehende Wolke / die die Rückkehr vergißt / nicht ahnend, daß der Frühling sich neigt.
    In der klassischen Literatur kam das Wort »Wolke« fast immer in Verbindung mit »Regen« vor, ein Bild, das für körperliche Liebe stand.
    Wieder versuchte er, sich auf seine Arbeit zu konze n trieren.
    Es fiel ihm nicht leicht. Immer wieder griff er zum chinesisch-englischen Wörterbuch und zu seinem Bil d wörterbuch. Nach etwa einer Stunde kam ihm eine and e re Idee. Statt beharrlich weiterzutippen, nahm er eine zweite Kopie des Textes zur Hand und markierte mit e i nem Leuchtstift alle Wörter, mit denen er Probleme hatte. Das war nicht schwer, aber zeitaufwendig, denn es erfo r derte eine genaue Lektüre. Zugleich verschaffte er sich aber ein umfassenderes und genaueres Bild vom Projekt New World.
    Er unterbrach die Arbeit nur einmal, um sich eine Ta s se löslichen Kaffee zu machen, die er geistesabwesend trank.
    Weiße Wolke kam um halb zwei zurück und brachte ein Dutzend Farbphotos mit, die sie gleich hatte entwi c keln und abziehen lassen, vermutlich bei einem Schnel l service. In der anderen Hand trug sie eine Plastiktüte, die Schachteln mit gegrilltem Schweinefleisch, geräuchertem Aal und winzigen Fleischbällchen enthielt.
    »Haben Sie schon zu Mittag gegessen, Oberinspektor Chen?«
    »Nein, ich hatte keinen Hunger.«
    »Tut mir leid, daß ich nicht dazu kam, für Sie zu k o chen. Aber ich habe etwas in einem Restaurant besorgt.«
    »Vielen Dank. Was bin ich schuldig?«
    »Nichts. Das übernimmt Herr Gu.«
    Es war ihm unangenehm, daß Gu ihr Instruktionen g e geben hatte – und Geld.
    »Aber er muß doch nicht für mein Essen bezahlen.«
    »Sie wissen ja, daß Herr Gu mich großzügig entlohnt. Bitte helfen Sie mir, diesen Job zu behalten.«
    Mit Genugtuung sah er sich die Photos durch. Sie w a ren scharf und genau fokussiert. Dann griff er sich mit den Stäbchen das erste Fleischbällchen. »Nun, ich kann mich nicht beklagen.«
    »Bitte essen Sie, solange die Bällchen noch warm sind«, sagte sie.
    Sie waren klein wie Wachteleier, der dünne Teigma n tel war fast durchsichtig, und die Füllung aus Schweine-und Krabbenfleisch vereinte die Aromen von Land und Meer. Die Brühe, die in ihnen eingeschlossen war, floß bei der ersten Berührung seiner Lippen heiß und köstlich heraus.
    »Seien Sie vorsichtig«, kicherte sie und tupfte eilig sein Kinn mit einer rosa Papierserviette ab.
    Die Berührung ihrer Finger irritierte ihn, und er hatte das Bedürfnis, von der Situation abzulenken. »In einem Kochbuch habe ich gelesen, daß in

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