Schwarz auf Rot
kommen durfte?
»Die Leute von der Staatssicherheit müßten alle U n terlagen zu ihren Auslandskontakten in den Akten haben. Die können sehr effektiv sein – auf ihre Art.« Mehr wol l te Chen dazu am Telefon nicht sagen.
»Das ist wahr. Immerhin waren sie vor mir am Tatort und haben ihr Zimmer durchsucht, aber sie haben uns nicht verraten, wonach sie gesucht haben.«
»Ich nehme an, daß das der normale Ablauf ist, wenn eine Dissidentin ermordet wurde. Wenn sie die Briefe liegengelassen haben, steht wohl nichts Aufschlußreiches drin.«
»Noch etwas anderes«, sagte Yu. »Ich habe in ihrem Zimmer kein Scheckbuch gefunden. Wenn der Mörder das mitgenommen hat, wird er unmittelbar nach der Tat das Konto leergeräumt haben. Aber bislang liegt mir noch keine Meldung vor, daß von einem Konto auf ihren Namen kürzlich Geld abgehoben wurde.«
»Vielleicht hatte der Mörder Angst, zur Bank zu g e hen, oder Yin hatte ihre Wertsachen in einem Ban k schließfach.«
»Ein Bankschließfach?« fragte Yu. »Von so etwas h a be ich bloß in einem der englischen Krimis gelesen, die Sie übersetzt haben.«
»Tja, inzwischen gibt es das auch in Shanghai. Man zahlt eine gewisse Miete, und die Bank verwahrt die Wertsachen in einem kleinen Safe.«
»Ich werde das überprüfen. Aber heute nachmittag möchte ich zuerst in ihre Uni gehen, auch wenn nichts Auffälliges in ihrer dortigen Akte steht.« Dann fügte er noch hinzu: »Ich werde Sie informieren, sobald ich etwas herausfinde. Und vielen Dank, Chef.«
Der Rest des Nachmittags verlief, abgesehen von ein i gen weiteren Anrufen, ruhig. Als nächster war Gu am Apparat.
»Wie läuft’s , Oberinspektor Chen?«
»Langsam, aber stetig, falls Sie die Übersetzung me i nen.«
»Oh, darüber mache ich mir keine Sorgen. Ich weiß das Projekt in guten Händen«, sagte Gu lachend. »Und was ist mit Weißer Wolke?«
»Sie ist ausgesprochen hilfreich«, entgegnete Chen, »aber sie sollte sich lieber auf ihr Studium konzentrieren. Ich halte es nicht für gut, wenn sie jeden Tag herkommt.«
»Schicken Sie sie zurück, wenn Sie sie nicht brauchen. Ich dachte nur, sie könnte Ihnen von Nutzen sein. Und was das Mädchen betrifft, so sollte sie sich glücklich schätzen, mit Ihnen arbeiten zu dürfen. Sie kann dabei eine Menge lernen.«
Es war nicht schlecht, zur Abwechslung mal eine A s sistentin zu haben, dachte Chen bei sich, trotz gegenteil i ger Beteuerungen. Noch dazu eine, die jung und hübsch war. Warum prüde sein? Wenn das Wasser allzu klar ist, leben keine Fische mehr im Teich.
»Wie wär ’ s am kommenden Wochenende mit einem Abendessen im Dynasty Club?« fragte Gu. »Haben Sie schon von unserer neuen Sauna gehört? Dazu gibt es ein passendes Gericht: Sauna-Shrimps. Lebend servierte Flußkrabben.«
»Sauna-Shrimps! Mir läuft schon das Wasser im Mund zusammen. Aber damit warten wir lieber, bis die Übersetzung fertig ist.« Nachdem Gu aufgelegt hatte, dachte Chen noch eine Weile vergeblich darüber nach, was für ein Gericht Sauna-Shrimps wohl sein könnte.
Der nächste Anruf war eine Überraschung. Es war Peiqin, Yus Frau, die er als gute Gastgeberin, als exze l lente Köchin und wegen ihrer Belesenheit in klassischer Literatur schätzte. Chen hatte seit der Sache mit der Wohnung nicht mit ihr gesprochen. Er hatte das Gefühl, die beiden im Stich gelassen zu haben.
»Sie wissen ja, daß Yu am Fall Yin arbeitet. Da kommt er k aum zum Lesen, deshalb lese ich Tod eines chinesischen Professors für ihn. Nicht bloß den Roman, auch anderes Material dazu, Interviews und Besprechu n gen. Solche Sachen in der Bibliothek zu beschaffen ist sehr langwierig. Ich dachte, Sie haben vielleicht Mö g lichkeiten, schnell an solches Material zu kommen.«
»Ich selbst habe Tod eines chinesischen Professors nicht gelesen.« Er hatte von dem Roman gehört, doch nach der Lektüre einer Besprechung hatte ihn das Buch nicht weiter interessiert. Diese Geschichten von verfol g ten Intellektuellen waren nichts Neues. Auch Chens V a ter, ein neokonfuzianischer Gelehrter, war während der Kulturrevolution eines elenden Todes gestorben. »Ich fürchte, da kann ich Ihnen nicht weiterhelfen.«
»Yin war doch Mitglied des Chinesischen Schriftste l lerverbands, Sektion Shanghai. Haben Sie sie dort ke n nengelernt?«
»Jedenfalls kann ich mich nicht erinnern.« Er dachte kurz nach und fügte dann hinzu: »Der Schriftstellerve r band hat eine kleine Bibliothek. Sie ist in der Julu Lu. Die Mitglieder
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