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Schwarz auf Rot

Schwarz auf Rot

Titel: Schwarz auf Rot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Qiu Xiaolong
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und warf einen Blick auf seine Armbanduhr. Damit schien die Si t zung beendet. »Vielen Dank, Alter Liang. Morgen we r den wir mit den Vernehmungen beginnen.«
    Wenn der Übeltäter im shikumen wohnte, mußte Yu dessen Tatmotiv herausfinden. Alter Liang hatte ihn auf das schlechte Verhältnis hingewiesen, das Yin zu ihren Nachbarn gehabt hatte, doch das rechtfertigte noch lange keinen Mord. Aus welchem Grund ermordete jemand seine unmittelbare Nachbarin?
    Nachdem das Nachbarschaftskomitee sich verabschi e det hatte, beschloß Hauptwachtmeister Yu, zu Fuß ins Präsidium zurückzukehren. Es war ein langer Weg, der ihn leicht eine dreiviertel Stunde kosten würde, doch er mußte in Ruhe nachdenken. Er wollte sich zu diesem Zeitpunkt noch nicht auf eine Vorgehensweise festlegen, sondern zunächst alle anderen Möglichkeiten ausschli e ßen, bevor er sich auf die Bewohner des Gebäudes ko n zentrierte.
    Als er in der Nähe der Fremdsprachenbuchhandlung eine Telefonzelle entdeckte, ging er hinein und rief den Shanghaier Literaturverlag an. Er wollte herausfinden, wieviel Yin mit der Veröffentlichung ihres Romans ve r dient hatte. Es brauchte zehn Minuten und eine Menge Kleingeld, bis er Wei, den verantwortlichen Lektor von Tod eines chinesischen Professors, am Apparat hatte.
    »Ich bin ein großes Risiko eingegangen, als ich das Manuskript angenommen habe«, sagte Wei. »Es hätte ein Verlustgeschäft werden können. Damals hat niemand vermutet, daß das Buch ins Kreuzfeuer geraten würde. Yin hat etwa dreitausend Yuan damit verdient.«
    Das war, selbst für damalige Verhältnisse, eine eher bescheidene Summe. Heutzutage konnte das ein Händler mit seinem Imbißstand leicht in ein paar Monaten ve r dienen.
    Wei erinnerte sich nicht mehr genau, was ihr die en g lische Übersetzung eingebracht hatte, aber nach allem, was er wußte, war auch das kein großes Geschäft gew e sen. Der Roman hatte zwar einige Sinologen interessiert, aber nicht das breite Lesepublikum angesprochen.
    »Außerdem«, so fügte Wei hinzu, »hatte China A n fang der achtziger Jahre noch nicht das Internationale Copyright-Abkommen unterschrieben. Der amerikan i sche Verlag hat ihr also bloß ein kleines, einmaliges H o norar bezahlt.«
    Doch Yu erinnerte sich an die Umschläge mit den en g lischen Absendern, deren Poststempel aus jüngster Zeit stammten.
    Anschließend wählte er die Nummer von Oberinspe k tor Chen.

5

    Chen blickte aus dem Fenster auf den tristen grauen Wohnblock gegenüber, dann konzentrierte er sich wieder auf die vor ihm liegenden Papiere, den Projektentwurf der New World, und begann, in seine elektrische Schreibmaschine zu tippen. Es war ein ehrgeiziges Vo r haben. Der Text war keineswegs einfach zu übersetzen, denn er enthielt zahlreiche architektonische Fachau s drücke. Normalerweise brauchte er Stunden, bis er sich in das jeweilige Fachvokabular eingearbeitet hatte und mit der eigentlichen Übersetzungsarbeit beginnen konnte. Er hatte schon früher gegen Honorar technische Überse t zungen gemacht, aber keine war so lukrativ gewesen wie diese.
    Chen hatte im Präsidium zwei Wochen Urlaub bea n tragt, und Parteisekretär Li hatte, wenn auch widerstr e bend, seine Zustimmung gegeben. Schon lange hatte ihm der Parteifunktionär Ferien versprochen, doch immer war etwas dazwischengekommen. Jetzt konnte Li ihm sein Ansinnen kaum abschlagen, auch wenn der Fall Yin b e sondere Dringlichkeit besaß.
    Chen hatte die Übersetzung nicht erwähnt, als er sein Urlaubsgesuch einreichte. Es gab noch andere Gründe für diese Auszeit. Die Art, wie einer seiner jüngsten Fälle abgeschlossen worden war, hatte ihn sehr verärgert. Er hatte als Polizist getan, was er konnte, doch all seine Bemühungen, obgleich »im Interesse der Partei«, hatten eine arme Frau nur noch tiefer ins Unglück gestürzt. Der Minister für Öffentliche Sicherheit, Huang, hatte ihn pe r sönlich aus Peking angerufen und seine »hervorragende Arbeit unter der Führung des Ministeriums« gepriesen und ihn ermutigt, »weitere Fortschritte als aufstrebender Kader der neuen chinesischen Polizei« zu machen. Pa r teisekretär Li hatte dieses Lob für seinen Schützling gar nicht geschmeckt. Daß der Minister ihn und nicht Li a n gerufen hatte, schien bedeutsam. Li hatte diese Botschaft durchaus z ur Kenntnis genommen. Ein zu rasches Au f steigen Chens – auf Kosten Lis – war nicht hinnehmbar. Es war daraufhin zu Spannungen zwischen den beiden Männern gekommen.
    Auch

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