Schwarz auf Rot
Nachbarschaftskomitee zu Präventi v maßnahmen veranlaßt. Alle Eingänge zu den Gassen w a ren mit schmiedeeisernen Gittern gesichert worden, die abends um halb zwölf abgeschlossen und morgens um halb sechs wieder geöffnet wurden. Jeder Anwohner ha t te seinen Schlüssel.
Abgesehen davon gab es eine feste Regelung für die Eingänge des Gebäudes. Sowohl Vorder-wie Hintertür blieben ü ber Nacht verschlossen. Die von innen verri e gelte Vordertür wurde nicht vor sieben Uhr geöffnet, und etwa gegen halb zehn abends wieder verschlossen. Die Hintertür wurde von jenen, die sie frühmorgens oder spätabends benutzten, abgeschlossen.
Yu hörte zu, machte Notizen, kommentierte das G e sagte aber nicht. Nach anderthalb Stunden ließen sich die Ereignisse des vorigen Morgens folgendermaßen reko n struieren:
Yin gehörte zu den Frühaufstehern. Sie hatte das G e bäude am 7. Februar etwa um Viertel nach fünf durch den Hintereingang verlassen, um im Volkspark Tai-Chi zu üben. Niemand sah sie an diesem Morgen weggehen, aber es gab keinen Grund zu der Vermutung, daß sie von ihrer Gewohnheit abgewichen wäre. Seit ihrem Einzug hatte sie jeden Morgen Tai-Chi geübt, und sie galt als pünktlich.
Lanlan war am fraglichen Morgen um halb sechs h i nuntergegangen und hatte die Hintertür verschlossen g e funden. Sie schloß auf und hinter sich wieder zu. Sie ging an jenem Tag früher als gewöhnlich auf den Lebensmi t telmarkt, um frische Meeresfrüchte zu kaufen, denn sie erwartete für den Nachmittag einen Gast aus Suzhou.
Kurz darauf verließen zwei weitere Hausbewohner das Gebäude durch die Hintertür. Der eine war Herr Ren, der für sein zeitiges Frühstück ein Restaurant aufsuchte, der andere Wan, der am Bund Tai-Chi übte. Beide waren sich sicher, daß sie zwischen drei Viertel sechs und sechs das Haus verlassen hatten.
Um Viertel nach sechs sah Xiong, eine Milchverkä u ferin, die ihre Flaschen in Sichtweite des Vordereingangs verkaufte, Yin zurückkommen. Die Milchfrau hatte extra noch auf ihre Armbanduhr geschaut, weil Yin für g e wöhnlich erst später zurückkehrte.
Lanlan kam mit ihren Einkäufen gegen halb sieben z u rück. Diesmal ließ sie die Hintertür unverschlossen und plauderte noch ein paar Minuten mit der Krabbenfrau an der Ecke.
Dann überquerte sie den Hof und entriegelte den Vo r dereingang, wie es ihre Gewohnheit war. Um diese Zeit standen auch die anderen Bewohner des shikumen-Hauses auf. Einige von ihnen wuschen sich am Gemei n schaftswaschbecken im Hof. Lanlan erinnerte sich, an jenem Morgen drei oder vier ihrer Nachbarn gesehen zu haben.
Die Zeiten paßten. Laut Doktor Xia war Yin zwischen Viertel nach sechs und halb sieben mit einem weichen Gegenstand erstickt worden. Sie war also noch nicht la n ge tot gewesen, als Lanlan die Leiche entdeckt hatte.
Yu versuchte, seine Gedanken mit Hilfe seines Noti z buchs zu ordnen. Scheinbar gab es zwei Möglichkeiten. Im ersten Szenario, das auf Zhongs Außenseitertheorie fußte, war der Verbrecher Yin in ihr Zimmer gefolgt und hatte dort den Mord begangen. Dies ließ jedoch mehrere Punkte unberücksichtigt: Die Milchfrau hatte Yin allein ins Gebäude zurückkehren sehen. Natürlich konnte der Verbrecher sich ihr im Schatten der Gasse unbemerkt genähert haben. Doch anschließend hätte er das Haus ja auch wieder verlassen müssen. Ein Fremder, der durch die Vordertür hinausging, wäre den Anwohnern im Hof aufgefallen. Auch wenn er durch die Hintertür ve r schwunden wäre, hätten die Leute im Hof ihn bemerkt, oder die Krabbenfrau, die unmittelbar davor in der Gasse saß, hätte ihn sehen müssen. Doch niemand hatte zu Pr o tokoll gegeben, daß er während der fraglichen Zeit einen Fremden gesehen hatte.
Eine andere Möglichkeit war, daß Yin von einem B e wohner des shikumen ermordet worden war. In diesem Fall stellten die Gassentore und Hauseingänge kein Pr o blem dar. Nach der Tat mußte der Täter lediglich in sein eigenes Zimmer zurückschleichen. Solange ihn keiner in Yins Zimmer gehen oder dort herauskommen sah, würde niemand ihn verdächtigen. Und natürlich schränkte das die Gruppe potentieller Täter deutlich ein. Yu meinte daher, sich vor allem auf die Bewohner des Gebäudes konzentrieren zu müssen.
»Ich habe Ihnen eine Liste verdächtiger Hausbewo h ner zusammengestellt«, flüsterte Alter Liang ihm ins Ohr. »Und ich habe bereits begonnen, ihre Fingerabdrü c ke zu nehmen.«
»Ich werde mir die Liste ansehen«, sagte Yu
Weitere Kostenlose Bücher