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Schwarz auf Rot

Schwarz auf Rot

Titel: Schwarz auf Rot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Qiu Xiaolong
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gewesen, sein und oftmals auch ihr Arbeitpensum auf den Feldern zu verrichten.
    In Yunnan hatte sie entdeckt, daß Yang nicht nur R o mane übersetzt, sondern auch eigene Gedichte verfaßt hatte. In einer alten Anthologie fand sie ein kurzes G e dicht von ihm, das sie sich in ihr Notizbuch schrieb und auswendig lernte. Erst nach ihrer Rückkehr nach Shan g hai kam die von Yin herausgegebene Sammlung seiner Gedichte offiziell in den Buchhandel. Da war Peiqin längst kein junges, romantisches Mädchen mehr, aber die Texte sprachen sie noch immer an. Es brach ihr schier das Herz, als sie erfuhr, daß seine dichterische Laufbahn, noch vor Ausbrechen der Kulturrevolution jäh unterbr o chen worden war. In dieser Sammlung las sie auch einige Gedichte, die kurz vor seinem Tod entstanden waren.
    Jetzt griff sie nach dem von Yin herausgegebenen Band und schlug ein Gedicht mit dem Titel »Schne e mann« auf:
    Du mußt ein Schneemann sein, u m im Schneegestöber zu stehen u nd der immergleichen Botschaft zu lauschen, d ie der heulende Wind, m it unerschütterlicher Ausdauer singt.
    Du starrst auf die Szenerie, o hne dich darin zu verli e ren, w ährend eine hungrige, heimatlose Krähe a n deiner roten Karottennase pickt.
    Sie glaubte nicht, dieses Gedicht wirklich zu verst e hen, aber es vermittelte ihr eine plötzliche, beinahe zen - artige Einsicht, u nd sie fühlte tiefes Mitleid für den Dic h ter. Wie einsam, verlassen und kalt mußte er sich gefühlt h a ben, als er dieses Bild des Schneemanns erschaffen hatte. Peiqin brauchte nicht lange zu rätseln, was »die imme r gleiche Botschaft des heulenden Windes« wohl gewesen war oder wer mit der »hungrigen, heimatlosen Krähe« gemeint war. Und dennoch verlor sich der Schneemann nicht in der Szenerie; paradoxerweise kon n te er sich da draußen im Schneegestöber seine menschl i che Gestalt bewahren.
    Sie schaute auf das Datum, das unter dem Gedicht stand. Vermutlich war es entstanden, bevor er Yin getro f fen hatte. Peiqin konnte verstehen, daß die Begegnung mit ihr sein Leben verändert hatte.
    Doch Peiqin fühlte sich nicht nur wegen Yang zu den Ermittlungen im Fall Yin Lige hingezogen und auch nicht allein deshalb, weil sie ihrem Mann bei der Arbeit helfen wollte. Es hatte mit einer unbestimmten Sehnsucht zu tun, die sie längst hinter sich gelassen zu haben glau b te. Die Sehnsucht nach einem Sinn in ihrem Leben, einer Bedeutung, so wie man sie aus dem »Schneemann« h e rauslesen konnte.
    Geng hatte ihr vorgeschlagen, seine Partnerin zu we r den, als er sein Geschäft erweiterte. Sie hatte nicht mit Yu über dieses Angebot gesprochen. Sie durfte die eise r ne Reisschüssel und deren Sicherheiten nicht zu früh aus der Hand geben. Niemand konnte ahnen, was Chinas Wirtschaftsreform bringen würde. Auch hatte sie kein wirkliches Interesse am Gaststättengewerbe. Schon ei n mal hatte sie ihrem Mann und Oberinspektor Chen geho l fen, als diese den Mord an einer nationalen Modellarbe i terin aufgeklärt hatten, doch sie hätte nicht geglaubt, daß sie sich einmal so sehr bei polizeilichen Ermittlungen engagieren würde. Hier bot sich die Möglichkeit, etwas für einen von ihr verehrten Schriftsteller, für ihren Mann und für sich selbst zu tun. Es war diese Kombination, die sie unwiderstehlich anzog.
    Könnte sie einen Hinweis entdecken, den Yu übers e hen h atte? Natürlich hatte sie nicht die Möglichkeit, in ähnlicher Weise zu ermitteln wie er. Schließlich saß sie unter der Woche in ihrem Büro im Restaurant, und die Wochenenden waren für Qinqins Hausaufgaben rese r viert. Es gab nur eines, was sie tun konnte, und das war Lesen. Yu hatte sie damit aufgezogen, daß sie sich zum x-ten Mal in die Romanwelt von Traum der Roten Ka m mer versenkte. Jetzt würde sie sich Tod eines chines i schen Professors zur nochmaligen genauen Lektüre vo r nehmen.
    »Peiqin, die Suppe wird kalt, wenn du nicht bald ru n terkommst«, rief jemand von unten aus der Küche.
    Sie legte die Bücher beiseite und ging hinunter.
    Das Restaurant war voll besetzt. Eine der neuen Sp e zialitäten auf der Karte war Reiskuchen mit in Sojasoße gebratenen Schweinefleischstreifen; das Gericht war der Renner. Während viele staatlich betriebene Restaurants unter harter Konkurrenz durch Privatunternehmen zu leiden hatten, behauptete sich das Vier Meere gut. Das lag vermutlich an seiner günstigen Lage.
    Sie ließ sich auf einer Bank neben der Küchentür ni e der und wählte eine Portion Reiskuchen mit

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