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Schwarz auf Rot

Schwarz auf Rot

Titel: Schwarz auf Rot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Qiu Xiaolong
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verlangt wegen vier oder fünf Yuan eine Quittung. Auf seine Steuererklärung würde ich mich nicht verlassen. Und vermutlich wird er auch nicht sein ganzes Geld auf die Bank tragen. Das ist so üblich bei Restaurantbesitzern.«
    »Klingt einleuchtend«, sagte Yu. »Ich habe vorhin auch nicht nach einer Quittung gefragt.«
    »Ich fülle für Geng die Formulare aus. Ich weiß, w o von ich rede.«
    Daran zweifelte Yu nicht.

11

    In ihrem kleinen Verschlag im Restaurant Vier Me e re machte Peiqin den Monatsabschluß, und der F e bruar war noch nicht einmal zur Hälfte vorüber. Dennoch wü r de sie weiterhin jeden Tag in ihrem sogenannten B ü ro sitzen, Papier und Bücher vor ihr auf dem Tisch ve r streut, auch wenn es nichts zu tun gab. Ursprünglich war es ein tingzijian, eine Treppenkammer, gewesen; imme r hin war der Raum, der ihr als Arbeitszimmer diente, fernab von den Gasträumen im Erdgeschoß. Sie teilte ihn mit Hua Shen, dem Geschäftsführer des Restaurants, der heute den ganzen Tag bei einer Sitzung war. Sie streifte die Schuhe ab, legte die Füße auf einen Stuhl, nahm sie aber gleich wieder herunter, denn in ihren Söckchen hatte sie zwei winzige Löcher entdeckt.
    »Peiqin, Zeit zum Mittagessen«, rief Luo, der neue Koch, aus der unmittelbar unter ihr gelegenen Küche. Seine Stimme dröhnte durch die Ritzen in den abgetret e nen Bodenbrettern, die Luft war erfüllt von Staub, der in absonderlichen Formationen im Licht tanzte. »Heute gibt ’ s Fischkopfsuppe mit Chili.« »Prima, ich komme, sobald ich hier fertig bin.« In den ersten Jahren hatte sie gelegentlich unten ausgeholfen, jedoch bald damit aufg e hört. In einem Staatsbetrieb bekamen die Angestellten immer das gleiche bezahlt, unabhängig davon, wie lange oder wie hart sie arbeiteten. Als Buchhalterin mußte sie nur ihre Abrechnung rechtzeitig fertig haben. Dazu ben ö tigte sie normalerweise nicht länger als eine Woche. Ke i nen kümmerte es, wenn sie den restlichen Monat über herumsaß und nichts tat. Deshalb hatte sie während der vergangenen Jahre, unter ihren Buchhaltungstabellen versteckt, Qinqins Schulbücher gelesen. Seine Schuljahre sollten nicht vergeudet sein, so wie es ihre gewesen w a ren. Um ihm bei den Hausaufgaben helfen und mit ihm üben zu können, hatte sie Englisch g elernt. Qinqin sollte eine gute Ausbildung an einer der Spitzenuniversitäten erhalten. Wer ein Hochschulstudium absolvierte, dem standen in Chinas sich rasch wandelnder Gesellschaft alle Türen offen. Auch Oberinspektor Chen hatte seine Position unter anderem aufgrund seines akademischen Hintergrunds erhalten, obgleich er, das mußte sie zugeben, einer der wenigen Parteikader war, die ihre Stellung durch eigene Verdienste rechtfertigen konnten.
    Gelegentlich las sie auch Romane während der Dienstzeit. Wie viele ihrer Generation hatte Peiqin sich durch Romanlektüre mehr oder weniger selbst fortgebi l det. Der Geschäftsführer mußte das bemerkt haben, hatte aber nie etwas gesagt. Auch er ging seinen eigenen Inte r essen nach; Peiqin hatte keine Ahnung, worin die besta n den.
    Manchmal, wenn sie ihr Buch beiseite legte, sinnierte sie verwundert über ihr Leben. Sie fragte sich, wieso sie hier in diesem winzigen Büro gelandet war, wo sie in Ermangelung anderer Beschäftigung Romane las. Würde sie den Rest ihres Lebens auf diese Weise verbringen? In der Grundschule war Peiqin eine Einserschülerin gew e sen, wenngleich sie wegen ihres »schwarzen« Familie n hintergrunds nicht beliebt gewesen war. Ihr Vater hatte eine kleine Import-Export-Firma besessen und deshalb nach 1949 den Klassenstatus »Kapitalist« erhalten, was von da an wie eine dunkle Wolke über der gesamten F a milie schwebte. Diese dunkle Wolke hatte sich dann während der Kulturrevolution zu einem massiven Unwe t ter verdichtet.
    Als angehende Oberschülerin war sie Ende der sechz i ger Jahre als gebildete Jugendliche kategorisiert und von Shanghai nach Yunnan verschickt worden. Damals hatte sich ihr Weg mit dem von Yu gekreuzt. Ihre Verwandten hatten sie einander vorgestellt in der Hoffnung, daß sie in der Fremde aufeinander aufpassen würden. Dort, in der tiefen ländlichen Provinz, hatten sich ihre Jungmädche n träume zerschlagen, doch sie hatte Yu als Mann schä t zengelernt. Nachdem ihnen dann Ende der Siebziger die Rückkehr nach Shanghai gelang, war sie glückl ich, eine kleine Familie wie die ihre zu haben. Yu war ein verlä ß licher Ehemann und Qinqin ein wundervoller Sohn,

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