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Schwarz auf Rot

Schwarz auf Rot

Titel: Schwarz auf Rot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Qiu Xiaolong
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hervor. Offenbar spielten sie Verstecken. Beim Anblick des Oberinspektors rannten sie kichernd und kreischend davon. Er hob den Vorhang hoch; der Platz dahinter war vollgestellt mit staubigem Gerümpel.
    Ein Mann mittleren Alters drängte sich an ihm vorbei und langte in einen Sack mit Kohlen, der an der Treppe lehnte. » ‘ Tschuldigung, jetzt ist Essenszeit«, murmelte er und füllte seine Schaufel.
    Ein Blick auf die Uhr sagte Chen, daß er annähernd drei Stunden hier verbracht hatte, ohne irgend etwas h e rauszufinden, was die Ermittlungen weitergebracht hätte. Immerhin hatte er ein paar lebensnahe Eindrücke für se i ne Übersetzungsarbeit gesammelt. Ob sie ihm bei seiner Visualisierung der New World wirklich helfen würden, war eine andere Frage.
    Er verließ das shikumen— Gebäude, gelangte von einer der Verbindungsgassen in die nächste und schließlich auf den Hauptweg, in dem, wie Alter Liang es geschildert ha t te, jetzt lebhaftes Treiben herrschte. Eine ältere Frau trocknete ihren Nachttopf aus Mahagoni, eine andere kehrte mit vollem Bambuskorb vom Lebensmittelmarkt zurück, und wieder eine andere nahm im Gemeinschaft s spülstein einen großen Karpfen aus, wobei sie mit Fisc h schuppen und Klatsch um sich warf.
    Als er um die nächste Ecke bog, sah er einen weißha a rigen Alten über ein Go-Brett gebeugt, das auf einem Hocker vor ihm stand. Die weißen Steine in der einen Hand, die schwarzen in der anderen, konzentrierte er sich auf das Spielbrett, als nähme er an einem nationalen Tu r nier teil. Auch Chen hatte eine Schwäche für Go, aber er hatte noch nie versucht, gegen sich selbst zu spielen.
    »Hallo«, sagte er und blieb neben dem Hocker stehen. »Wieso spielen Sie gegen sich selbst?«
    »Haben Sie Sunzis Kunst des Krieges gelesen?« fragte der Alte zurück, ohne aufzublicken. »Du mußt deinen Gegner so gut kennen wie dich selbst , nur dann ist dir der Sieg sicher.«
    »Ja, ich habe das Buch gelesen. Man muß herausfi n den, was den Gegner zu seiner Handlungsweise vera n laßt. Dazu muß man versuchen, ihn so weit wie möglich zu verstehen.«
    »Aus meiner Sicht erscheint die Position der schwa r zen Steine wenig sinnvoll, also kann ich nur vermuten oder zu verstehen versuchen, warum sie so liegen. Aber das allein reicht noch nicht. Den Gegner zu kennen, als könnte man seine Gedanken lesen, ist nicht genug; man muß er selbst werden.«
    »Verstehe. Vielen Dank auch, Onkel. Das war weise gesprochen«, erwiderte Chen, und er meinte, was er sa g te. Für ihn handelte dieses Gespräch nicht nur vom Go-Spiel. »Ich werde Ihre Belehrung beherzigen, nicht nur auf dem Spielbrett.«
    »Junger Mann, Sie sollten mich nicht allzu ernst ne h men. Wer eine Partie spielt, der möchte gewinnen«, e r klärte der alte Mann. »Hat man sich erst einmal hinei n vertieft, dann zählt jeder Stein, jeder Zug ist von Bede u tung. Man freut sich über eine eroberte Ecke, ist en t täuscht, wenn man eine bestimmte Position aufgeben muß; man steigert sich hinein in die Illusion von Gewinn und Verlust. Erst nachdem die Pa r tie zu Ende ist, wird einem bewußt, daß es nur ein Spiel war. Den buddhist i schen Schriften zufolge ist alles in dieser Welt Illusion.«
    »Genau. Das haben Sie schön gesagt.«
    Chen entschloß sich, zu Fuß nach Hause zu gehen. Er konnte schließlich nicht den ganzen Tag in dieser Gasse vertrödeln. Die Betrachtungen über das Go-Spiel hatten ihn weitere zehn Minuten gekostet, und in seiner Wo h nung erwartete ihn die unfertige Übersetzung. Trotzdem wollte er auf dem Heimweg noch ein wenig über den Fall nachdenken. Das Gespräch mit dem alten Go-Spieler hatte ihn auf ebenso rätselhafte Weise bereichert, wie der alte Mann aus der Han-Zeit Zhang Liang auf die Sprünge geholfen hatte.
    Vom Ausgang der Gasse warf er einen letzten Blick auf das Haus zurück, in dem Yin nach Yangs Tod die letzten Jahre ihres Lebens verbracht hatte. Wieder kam ihm ein Gedicht aus Yangs Übersetzungsmanuskript in den Sinn:
    Wo ist die Schöne?
    Nur Schwalben hausen nutzlos noch im Raum.
    Damals und heute, nichts als ein Traum.
    Wer wäre je daraus erwacht?
    Es gibt nur die nie ewige Wiederkehr v on alter Freude und neuem Leid.
    Vielleicht wird ein anderer, zu einer anderen Zeit d es Nachts für mich seufzen vor dem gelben Turm.

    Dieses Gedicht von Su Dongpo handelte von einer Kurt i sane, die sich nach dem Tod ihres Liebhabers in einem Turm eingeschlossen hatte. Ein tingzijian ließ sich zwar nicht mit einem

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