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Schwarz auf Rot

Schwarz auf Rot

Titel: Schwarz auf Rot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Qiu Xiaolong
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wahre Kochkunst nur zu Hause von einer kultivierten Gastgeb e rin praktiziert werden konnte, die tagelang eine einfall s reiche Speisenfolge vorbereitete und sie dann in elega n ter Umgebung servierte. Ein solches shikumen könnte ein angenehm familiäres Umfeld bieten. Den Wohnbereich würde man in größere Gasträume und die verschiedenen kleinen Räume in Separees umgestalten. In einer derart heimeligen Atmosphäre mit ihrem Kontrast von Verga n genheit und Gegenwart könnte das Konzept der New World b e stens verwirklicht werden.
    Selbst den Hof würde man als romantischen abendl i chen Freisitz für ein Glas Wein oder eine Schale Tee nu t zen können.
    Einige unvollständige Zeilen aus einem alten Gedicht kamen ihm plötzlich in den Sinn:
    Einem Haken gleich der Mond a m Himmel festg e bannt.
    Einsamer Baum im tiefen Hof h ält klaren Herbst u m spannt.

    Nicht abschneiden u nd nicht entwirren kann man d er Trennung Schmerzen. Nichts h interläßt solchen Nachg e schmack im Herzen.

    Diese Zeilen stammten aus einem Gedicht, das Yang in seine Sammlung aufgenommen hatte. Manchmal, spät am Abend, wenn alle anderen Familien des shikumen sich zurückgezogen hatten, mochte Yin, diese einsame Frau mit dem gebrochenen Herzen, in ebendiesen Hof getreten sein und sich diese Zeilen vorgelesen haben.
    Chen trat seine Zigarette aus, durchquerte die Ei n gangshalle und ging zum Hintereingang wieder hinaus. Dort hielt er inne, um die Türflügel probehalber ein paarmal zu öffnen und zu schließen. Hinter der Tür, die sich zum Treppenhaus hin öffnete, konnte sich durchaus jemand versteckt haben. Allerdings hätte jeder, der die Treppe herunterkam, ihn sofort bemerkt.
    Vor dem Eingang saß diesmal nicht die Krabbenfrau, doch ihr Posten, keine vier Schritte von der Tür entfernt, war durch einen Bambushocker markiert. Dort draußen war es bitterkalt. Es war bestimmt nicht einfach für diese Frau, jeden Morgen dort zu sitzen und zu arbeiten, die Finger taub von den gefror enen Krabben. Und dafür e r hielt sie einen Hungerlohn von zwei oder drei Yuan pro Stunde. Eine schnelle Kopfrechnung sagte ihm, daß sie in einem Monat wesentlich weniger verdiente, als er für eine Stunde Übersetzen bekam.
    Dazu fielen ihm zwei bekannte Zeilen des Tang-Dichters Bai Juyi ein: Welches Verdienst kann ich bea n spruchen / mit meinen dreitausend Scheffel Reis pro Jahr? Zur damaligen Zeit, als viele Menschen nicht satt wurden, war ein solches Jahreseinkommen geradezu fürstlich.
    Ein wiederkehrendes Thema unter chinesischen Inte l lektuellen war die ungleiche Verteilung von Reichtum in der Gesellschaft – huibujun. Aber auch der Genosse Deng Xiaoping mußte irgendwie recht haben, wenn er forderte, daß es selbst in der sozialistischen Gesellschaft einigen Chinesen gestattet sein sollte, schneller reich zu werden als andere, und daß die von ihnen erwirtschaft e ten Werte mit der Zeit zu den Massen »durchsickern« würden.
    Wo das Geld versickerte, das solche Senkrechtstarter wie Gu erwirtschafteten, wußten nur die Götter. Das China der neunziger Jahre war zwar dem Namen nach sozialistisch, und man betonte in alter Gewohnheit die Gleichheitsgrundsätze innerhalb der Gesellschaft, doch die Kluft zwischen Arm und Reich vergrößerte sich rasch und auf alarmierende Weise.
    Chen stieg die Stufen des Treppenhauses hinauf. Dort war es dunkel, und er mußte aufpassen, wohin er seine Füße setzte. Ein Fremder konnte diese Treppen kaum ohne Straucheln bewältigen. Eigentlich wäre hier selbst untertags eine Glühbirne nötig. Doch in einem Haus mit so vielen Bewohnern wäre es eine komplizierte Reche n aufgabe, den Anteil der einzelnen Parteien an der ko m munalen Hausstromrechnung zu ermitteln.
    Auf jedem Stockwerk waren einige der Zimmer offe n bar durch nachträgliches Unterteilen geschaffen worden. Hier wohnten sechzehn Familien auf zwei Ebenen, übe r legte Chen, alles in allem etwa hundert Menschen. Wenn jeder von ihnen a ls potentieller Verdächtiger gelten kon n te, hatte Yu mehr als genug zu tun.
    Chen konnte es sich nicht verkneifen, in Yins Zimmer zu gehen, obwohl er das eigentlich nicht vorgehabt hatte. Yu hatte mit Sicherheit das Nötige getan.
    Er wurde ganz melancholisch, wenn er an den Tod dieser einsamen Frau dachte, an dessen Aufklärung er sich eigentlich aktiver beteiligen sollte. Auf die Möbel hatte sich bereits eine dünne Staubschicht gelegt, die der Szenerie etwas Vertrautes gab. Auf dem Boden lag ein Stapel Zeitschriften

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