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Schwarz. Weiß. Tot.: Storys

Titel: Schwarz. Weiß. Tot.: Storys Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Deon Meyer
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hatte sie sich die Fotos angesehen und aus den Akten vorgelesen.
     Sechs junge Leute, alles ehemalige Drogenabhängige, hatten 2005 je mindestens drei Wochen lang bei den Haywards gewohnt –
     vier Mädchen und zwei Jungen. Als sie den vorletzten Ordner öffnete, den ersten der beiden Jungen, stieß sie einen überraschten
     Laut aus.
    »Was ist denn?«, fragte October und blickte rasch hinüber auf den Bildschirm, erkannte aber nur Umrisse.
    »Seine Adresse … Er wohnt in Seepunt …« Und dann: »Guck doch mal, wie hübsch der ist!«
    October erhaschte einen Blick von dem Foto – ein junger Farbiger mit sanften, verletzlichen Augen.
    »Ach«, seufzte er. »Ach.«
    Allmählich fügten sich all seine Vermutungen zu einem klaren Bild zusammen, und sein Verdacht erhärtete sich.
     
    Am Montag um zehn nach elf saß er in der Voortrekkerstraat beim Reifenservice Tiger Wheel & Tyre in der Küche, dem einzigen
     Raum, in dem er ein privates Gespräch mit der Kassiererin Melissa Els führen konnte. Sie war neunzehn und hatte kurze, hellbraune
     Haare und ein Stacheldraht-Tattoo auf der Schulter. An einem Stachel hing ein Blutstropfen.
    »Ich bin schon seit zwanzig Monaten clean«, verteidigte sie sich.
    |220| »Deswegen bin ich nicht hergekommen. Ich führe Ermittlungen gegen gewisse Personen, die als Pflegeeltern für Pickford House
     tätig waren …«
    »Pickford House!«, stieß sie mit Todesverachtung hervor.
    »Michael und Mercia Hayward«, fuhr October fort. »Kommen die Namen dir bekannt vor?«
    Ihr Blick schweifte in Richtung des kleinen Fensters, durch das man einen Stapel alter Autoreifen erkennen konnte. In ihrem
     Gesicht spiegelten sich heftige Gefühle wider. Langsam ballte sie die Hände zu Fäusten. Dann ließ sie den Kopf sinken, und
     eine Träne lief ihre Wange herunter.
     
    Nita rief erst um Viertel vor vier an, genau zur gleichen Zeit wie sonst an den Wochentagen.
    »Er ist es«, verkündete October. »James Daniel Fortuin.«
    »Woher weißt du das?«
    »Ich war heute Vormittag bei Melissa Els. Sie war die erste Patientin, die ich ausfindig machen konnte. Sie hat erzählt, Jimmy
     Fortuin sei mit ihr zusammen in Pickford House gewesen, als sie zum ersten Mal dort behandelt wurde. Sie benutzte dein Wort,
     um ihn zu beschreiben: abgefahren. Er muss sehr still gewesen sein und sich von den anderen abgesondert haben. Und er war
     der Einzige, der ›entkommen‹ konnte, wie sie es bezeichnete. Sie hat erklärt, niemand habe gewusst, wie er es angestellt habe.
     Die Bewachung war sehr gut, und die Zimmer der Patienten waren nachts abgeschlossen. Doch eines Morgens – wenige Tage vor
     seiner Entlassung – war Jimmy Fortuin plötzlich weg. Sie hat ihn nie wiedergesehen.«
    |221| »Und die Haywards?«
    »Nita … du hast doch die Sachen auf dem Computer von Mercia Hayward gesehen … Ich will nicht um den heißen Brei herumreden:
     Sie haben die Jugendlichen missbraucht. Es war ihre Schuld, dass Melissa Els wieder rückfällig geworden ist.«
    »Warum haben die Jugendlichen nichts gesagt?«
    »Melissa hat versucht, sich zu wehren, aber die drogenabhängigen Jugendlichen sind oft notorische Lügner, so dass ihnen keiner
     glaubt.«
    Schweigend nahm Nita die Nachricht zur Kenntnis. Als sie wieder sprach, klang sie niedergeschlagen. »Und was sollen wir jetzt
     machen?«
    Das fragte er sich schon den ganzen Nachmittag. Denn wie stellt man jemanden, der die Zeit anzuhalten vermag, der durch die
     Melasse eines eingefrorenen Augenblicks auf Nimmerwiedersehen verschwinden konnte? Und selbst wenn sie einen Plan schmiedeten
     und Nita ihrerseits ihre Fähigkeiten einsetzte, um ihn zu stellen: Was dann? Sie könnten ihn nicht verhaften. Kein Staatsanwalt
     würde den Fall übernehmen, und es existierte kein einziges Beweisstück, das October auf legale Weise in seinen Besitz gebracht
     hatte.
    Deswegen legte er so viel Enthusiasmus in seine Stimme, wie er nur konnte. »Ich habe eine Idee.«
     
    Um kurz nach sechs fuhr er hinaus nach Seepunt, zu der offiziellen Adresse von James Daniel Fortuin. Er gelangte zu einem
     hübsch restaurierten Haus in der Algakirkstraat. Ein blank geputzter kleiner Audi stand vor der Tür.
    |222| Hatte der Junge so viel Geld gestohlen? Ohne dass jemand Verdacht geschöpft hatte?
    October parkte ein Stück weit die Straße hinunter, aber so, dass er das Haus beobachten konnte. Um zwanzig nach sieben kam
     ein Mann heraus, weiß, um die vierzig, groß und hager. Das konnte doch gar

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