Schwarz
eine schnelle Auffassungsgabe, konnte selbständig arbeiten und war zudem noch eine Art Polyglotte, ein Sprachgenie, das sich Fremdsprachen verblüffend schnell aneignete. Nach seinem vor zwei Jahren aktualisierten Lebenslauf beherrschte Kara elf Sprachen. Auch die Berufserfahrung, die er vorweisen konnte, hinterließ Eindruck. Es kam selten vor, dass ein Vierunddreißigjähriger schon mit derart anspruchsvollen internationalen Aufgaben betraut wurde wie Kara: vier Jahre im Unternehmen Global Crisis Group, drei Jahre beim britischen Nachrichtendienst MI5 und die letzten beiden Jahre beim UNODC.
Birou schaute in den umfassenden Bericht des britischen Nachrichtendienstes nach der Sicherheitsüberprüfung Karas vor etwa zwei Jahren. Damals hatte er überlegt, ob er Kara einstellen sollte. Karas Foto war nicht gerade sehr vorteilhaft und sah aus, als hätte man es bei polizeilichen Ermittlungen aufgenommen: der stechende Blick der tiefliegenden Augen, die kurzen und hochstehenden blonden Haare, das blasse Gesicht und im Kontrast dazu die dunklen Augenbrauen. Das Grübchen am Kinn war trotz der Bartstoppeln deutlich zu erkennen. Seinen schweren, schwankenden Gang konnte das Foto freilich nicht sichtbar machen. Birou musste sich eingestehen, dass Kara wirklich etwas Merkwürdiges an sich hatte. In der Nähe dieses Cholerikers war es angebracht, stets auf der Hut zu sein, mal mehr, mal weniger. Er blätterte um.
Mit sechzehn für einige Zeit von der Internatsschule in Winchester verwiesen und ein Jahr darauf ein zweites Mal, Geldstrafen wegen Körperverletzung, zwei Festnahmen wegen Trunkenheit, zweiFreiheitsstrafen auf Bewährung und so viel Verkehrsdelikte, dass Birou keine Lust hatte, weiterzublättern. Karas Führerschein lag vermutlich auch mal wieder auf Eis. Anscheinend hatte der Mann sich einfach nicht unter Kontrolle. Es sah ganz danach aus, dass bei Kara im Kopf irgendetwas nicht stimmte.
Birou bereute es, dass er Betha Gilmartin einen Gefallen getan und Kara als seinen Persönlichen Assistenten eingestellt hatte, obwohl dessen Vergangenheit mit Problemen gespickt war. Gilmartin, die Vizechefin des britischen Auslandsnachrichtendienstes SIS, hatte behauptet, Kara sei ein Freund der Familie. Aber Birou hatte sie im Verdacht, ihm nicht alles gesagt zu haben. Eigentlich wusste er sogar, dass sie etwas verheimlichte. Mit Rotstift hatte er im Bericht des MI5 die Stelle angestrichen, in der es hieß, dass Karas Eltern und seine Schwester im Oktober 1989 unter Umständen gestorben waren, die der Geheimhaltung unterlagen. Damals fingen Karas Schwierigkeiten an, vor dem Verlust seiner Familie hatte er sich keines einzigen Vergehens schuldig gemacht.
Birou ließ den Gummi beim Schließen des Hefters knallen und schaute auf die Wolkenkratzer der UN. Warum hatte er dem Generalsekretär gegenüber nicht erwähnt, dass die sudanesischen Behörden Leo Kara des Mordes an Ewan Taylor verdächtigten? Vermutlich fürchtete er, selbst in Verlegenheit zu geraten, wenn man in Karas Vergangenheit herumkramte. Wie sollte er erklären, dass er einen Mann als seinen persönlichen Mitarbeiter eingestellt hatte, der für seine Streitlust bekannt war, Straftaten begangen hatte und dafür verurteilt worden war? Er wollte Kara nicht etwa schützen, im Gegenteil, er wollte ihn loswerden. Aber rauswerfen konnte er Kara nicht, das würde Betha Gilmartin ihm nicht verzeihen.
Ein heftiges Klopfen an der Tür unterbrach seine Gedankengänge. Birou erhob sich, um seinem Stabschef Carlo Andretti die Tür zu öffnen. Er wunderte sich einmal mehr, dass dessen Bart fast bis zu den Augen reichte, und forderte ihn auf, sofort zum Punkt zu kommen.
»Ich habe Verbindung zu Taylors Vorgesetztem in Nairobi aufgenommen. Taylor hat das letzte Mal heute Morgen in seinem Büro angerufen und dabei einen ganz normalen Eindruck gemacht, vielleichtwar er etwas aufgekratzter als sonst. Er hat kurz berichtet, was er in den letzten Tagen unternommen hat.«
Birou schüttelte den Kopf. »Was hat er denn unternommen? Was genau hat Taylor eigentlich in Khartoum gemacht?«
Andretti rieb seine rechte Hand und starrte auf eine wuchernde Grünpflanze hinter dem Generaldirektor. »Wir identifizieren drohende Gefahren und helfen den Mitgliedstaaten beim Kampf gegen die organisierte Kriminalität, den Drogenhandel und den Terrorismus …«
»Mann, zitieren Sie mir hier nicht die Dienstvorschriften!«, unterbrach ihn Birou verärgert.
Andrettis Miene wurde ernst. »Taylor
Weitere Kostenlose Bücher