Schwarz
gehörte zu einer Arbeitsgruppe des Regionalbüros in Kenia, die aktuelle Gefahren und Trends des illegalen Waffenhandels erfasst und auswertet. Er war dabei, die Waffenverkäufe der sudanesischen Janjaweed in den Kongo zu untersuchen, und ist nach Khartoum geflogen, um darüber mit den sudanesischen Behörden zu sprechen. Wenn er schon in den Besitz handfester Beweise gelangt wäre, wüssten wir mit Sicherheit davon. Unsere Leute untersuchen keine einzelnen Straftaten, das machen die staatlichen Behörden, wir können natürlich Hinweisen nachgehen und Hintergründe und die großen Gesamtzusammenhänge klären, aber …«
»Das weiß ich ja wohl selbst«, fiel Gilbert Birou ihm barsch ins Wort und schnaufte.
3
Freitag, 24. April
In Leo Karas Gästezimmer leuchtete es immer wieder kurz auf wie in einer Disco mit Strobolights, weil die Helligkeit auf dem Bildschirm des Fernsehers ständig wechselte. Alle wichtigen Nachrichtenkanäle berichteten über den Mord an Ewan Taylor: CNN International, Al-Jazeera, BBC World News und Al-Arabiya. Es war genau drei Uhr nachts, die Stunde des Wolfes. Menschen mit einem normalen Tagesrhythmus lagen jetzt im tiefsten Schlaf, Kara jedoch lief in seinem Zimmer umher, als hätte er ein Aufputschmittel genommen. Er fühlte sich leer und so beklommen, dass ihm das Atmen schwerfiel. Erst jetzt begriff er so richtig, was an diesem Tag geschehen war. Sein bester Freund war umgebracht worden, sein Patenkind hatte den Vater verloren.
Im Zimmer nebenan klopfte jemand an die Wand und beschwerte sich über den Lärm, die Wände des UN-Hauptquartiers in Khartoum waren so schalldurchlässig wie Seide. Kara drehte den Ton ab.
Wer hatte Ewan umgebracht und warum? War Baabas wirklich so dumm, dass er ihn des Mordes an Ewan verdächtigte? Oder fürchtete der Oberst, dass er etwas über Ewans Ermittlungen wusste? Wollte man ihn ausschalten? Vielleicht hatte Ewan Verbrechen des sudanesischen Staates untersucht.
Kara drehte den Ton wieder an, als er auf dem Bildschirm ein Foto von Ewan erblickte. Die Nachrichtensender wussten über den Mord noch weniger als er, und Zbigniew Górski, der gereizt wirkende Polizeichef der UN-Operation im Sudan, wollte ihm auch nicht helfen. Der Pole hatte ihn verhört wie einen Kriminellen und behauptet, er habe nur erfahren, dass die sudanesischen Kriminalisten in Ewans Wohnung keinerlei Aufzeichnungen gefunden hätten. Górski war der Ansicht, dass die sudanesischen Behörden ihre Informationen nur ungern an die UN weitergaben, und an private Ermittlungenbrauchte man im Sudan gar nicht erst zu denken. Die Einheimischen würden Leuten aus dem Westen sowieso nichts verraten. Der Gipfel war, dass Górski ihn des Zimmers verwiesen hatte, weil er nicht lockerließ und darauf beharrte zu wissen, dass Ewan über seine Ermittlungen Buch geführt habe. Angeblich wollte Górski mit ihm nicht über den Mord reden, weil die sudanesische Polizei ihn als Verdächtigen ansah. Dieser verdammte Korinthenkacker.
Kara lief immer im Kreis herum, das machte ihn zwar ganz wirr im Kopf, aber er wollte sich nicht hinsetzen und zur Ruhe kommen. Jemand hatte seinen Jugendfreund umgebracht, und einen neuen würde er so schnell nicht finden. Auch ein Teil seiner eigenen Lebensgeschichte war unwiderruflich gelöscht worden. Als Erwachsener war man nicht fähig, eine Freundschaft oder einschneidende Erlebnisse so intensiv zu empfinden wie als Jugendlicher. In Gedanken kehrte Kara an das Winchester College zurück.
Dort war es wie bei der Armee zugegangen. In ihrem Internatshaus, im »Freddie’s«, musste man im Frühjahrssemester, im Sommer- und im Herbstsemester unterschiedliche Kleidung tragen. Ein Sakko war immer vorgeschrieben, aber im Sommer ersetzten weiße Shorts die Kniebundhosen und ein kurzärmliges Poloshirt das Anzugshemd, und auf die Krawatte durfte man verzichten. Die Kleiderordnung der Schule ließ nur ein Schuhmodell zu: Armitage’s Shoes, 12 Clarence Crescent, Windsor. Die als Aufsicht eingesetzten Schüler wurden Feldwebel genannt und führten hin und wieder Stubenkontrollen durch, bei denen die Spinde in Augenschein genommen wurden. Es hagelte nur so Strafen: Man musste in der Ecke stehen, die Toiletten säubern, Strafrunden auf dem Sportplatz drehen … Kara hatte Winchester aus tiefstem Herzen gehasst. Als für ihn mit neunzehn endlich der Tag der Freiheit kam, verbrannte er seinen ganzen Vorrat an Schulkleidung: den Pullover, die Kniestrümpfe, die Krawatten, den
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