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Schwarz

Schwarz

Titel: Schwarz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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nicht bemerkte. Kara hastete mit langen Schritten und gesenktem Kopf an der Kamera vorbei in die erste Etage. Ewans Wohnungstür war mit Absperrbändernversiegelt und das Schloss zerschossen. Kara stieß die Tür auf und schlüpfte zwischen den Bändern hindurch.
    Er schaltete eine LED-Taschenlampe ein. Ihm blieb nicht viel Zeit. Möglicherweise hatte ihn der Wächter auf den Bildschirmen oder einer der Bewohner auf dem Hof bemerkt. In der Wohnung herrschte absolutes Chaos. Der Inhalt von Ewans Koffern lag auf dem Fußboden verstreut genau wie das Geschirr aus der Kochnische. Die Matratze, alle Kissen und die Sofapolster waren aufgeschlitzt, die Wandbilder zerschlagen und die geleerten Schubfächer der Kommoden und Schränke an der Wand aufgestapelt. Sollte Ewan seine Aufzeichnungen hier aufbewahrt haben, dann hatten Baabas’ Leute sie garantiert gefunden.
    Kara drehte und wendete Ewans Kleidungsstücke, steckte den Finger in die Zuckerdose, untersuchte den Spülkasten der Toilette, schaute hinter den Badspiegel und ärgerte sich immer mehr. Die ganze Mühe war umsonst. Da fiel sein Blick auf einen roten Kricketball, der im Bad in eine Ecke gerollt war. Ein Lächeln zog über sein Gesicht. Ja, natürlich, Ewans Talisman. Eine der weißen Nähte des Kricketballs war gerissen, und das verblichene Autogramm von David Gower, dem Kapitän des WM-Teams von 1983, war auf dem abgenutzten roten Leder kaum noch zu erkennen. Kara sah den Ball das erste Mal seit der Zeit in Winchester.
    Plötzlich waren draußen hastige Schritte zu hören. Kara stürzte zum Fenster und sah, wie bewaffnete sudanesische Soldaten ins Treppenhaus rannten. Er steckte den Kricketball schnell in die Hosentasche. Ewans Geheimnisse durften Baabas nicht in die Hände fallen, der Oberst würde sie den UN vielleicht nie übergeben. Wer weiß, womöglich hatte Ewan Verbrechen des sudanesischen Staates oder von
Al-amn al-ijabi
oder vielleicht von Baabas selbst untersucht.
    Kara öffnete das Fenster, ließ sich auf den Balkon der Wohnung im Erdgeschoss fallen und landete dann auf dem Rasen. Er stürmte zur Mauer, sprang ab und hörte hinter sich jemanden rufen. Als er sich auf die Mauerkrone gezogen hatte, schaute er kurz zu Ewans Fenstern und sah, wie Baabas mit seiner Pistole direkt auf ihn zielte. Der Schuss krachte im selben Augenblick, als Kara sich über die Mauer wälzte. Er fiel aus einer Höhe von drei Metern mit der Seiteauf den Asphalt. Irgendetwas knackte in der Hüfte, und ein schneidender Schmerz schoss durch seinen Körper. Er stand vorsichtig auf, ächzte, weil sein linkes Bein furchtbar weh tat, und ergriff dann humpelnd die Flucht. Baabas’ Männer müssten nicht über die Mauer klettern und würden jeden Augenblick um die Ecke kommen, ihm blieb nicht viel Zeit, zu Fuß konnte er ihnen nicht entkommen, wo sollte er sich verstecken …
    Da sah er eine Gruppe von Jugendlichen, die sich auf der Straße rasch näherte. Die arabischen Jünglinge schrien laut alle durcheinander und bildeten eine dichte Traube um einen ihrer Gefährten, der in die Pedale eines Fahrrads trat. Kara holte sein Portemonnaie heraus, hielt dem Burschen auf dem Fahrrad ein Bündel Geldscheine hin, für das man im Sudan mehrere Monate arbeiten musste, und griff nach der Lenkstange des wackligen Jugendrades. Der Junge war so verdutzt, dass ihm der Mund offen stand, als er die Dinar zählte; er stieg aus dem Sattel, und es interessierte ihn nicht im mindesten, dass sein Drahtesel im Labyrinth der Khartoumer Gassen verschwand.
     
    Leo Kara schmierte ein schmerzlinderndes Gel, das er im Arzneischrank des Gästezimmers gefunden hatte, auf seinen großen Gesäßmuskel und stellte zufrieden fest, dass der ganze fußballgroße blaue Fleck unter den Hosen verdeckt blieb. Das war immerhin ein Grund zur Freude, jedenfalls brauchte er Oberst Baabas oder dem polnischen UN-Polizeichef nun nicht zu erklären, woher der Bluterguss stammte. Seine Schuhe und das Kapuzenshirt hatte er bei seiner Flucht weggeworfen, jetzt wäre niemand imstande, ihn mit dem Einbruch in Ewans Wohnung in Verbindung zu bringen, das hoffte er zumindest. Er brannte vor Neugier, endlich zu erfahren, welchem Verbrechen Ewan auf die Spur gekommen war, und vielleicht auch, warum man seinen Freund ermordet hatte.
    Kara holte den Kricketball aus der Tasche und schraubte die Hälften auseinander. Die Nähte des Balles lagen genau auf der Fuge der beiden Halbkugeln, die man deshalb mit bloßem Auge nicht erkennen

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