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Schwarz

Schwarz

Titel: Schwarz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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Sorgenkind Kara. Er wischte eine Fussel vom Ärmel seines Nadelstreifenanzugs, rückte die Krawatte gerade und schob die Cartier-Brille mit der goldenen Fassung auf der Nase zurecht. Das Licht wurde von den Fenstern der Hochhäuser der UNO-City reflektiert, es sah aus, als würde die Abendsonne aus allen Richtungen scheinen. Das war der wärmste Frühling in Wien seit Jahren. Birou interessierte das nicht, ins Freie ging er nur, wenn es unbedingt sein musste.
    Gilbert Birou war ein ruhiger Mensch. Geboren wurde er 1951 in der Familie eines engstirnigen Stadtgärtners und einer vom Leben enttäuschten Hausfrau am Rande der Kleinstadt Penmarch in der Bretagne. Das nahezu einzig Wichtige in seiner Jugendzeit, an das er sich erinnerte, war der brennende Wunsch, sein Zuhause und die stürmische und steinige Heimatregion zu verlassen. 1969 erhielt der einsame junge Mann, der sich mit Musik und Träumereien beschäftigte, von seinem Vater die Erlaubnis, sich an der Sorbonne für ein Studium der Staatswissenschaften zu bewerben. Er schaffte die Zulassung an der Universität mit Hängen und Würgen und verschwand nach Paris. Das nächste Lebenszeichen von ihm erhielt man auf den sturmumtosten Felsen von Penmarch erst acht Jahre später. Da las sein Vater in der »Le Monde«, die er zufällig in die Hände bekam, dass sein Sohn Gilbert die französische Polizeiakademie absolviert hatte.
    Nachdem Gilbert Birou über zwanzig Jahre lang eine verdienstvolle Arbeit in der französischen Polizei und im Innenministerium geleistet hatte, erkundigte sich erst Präsident Chirac und dann der UN-Generalsekretär, ob er gewillt sei, das Amt des UNODC-Gene raldirektors zu übernehmen. Birou hatte der Form halber erwidert, das müsse er erst noch überschlafen, und dann die Herausforderung angenommen. Die Arbeit war sein Leben, eine Familie würde er niemals gründen, er wollte nicht noch einmal in ein Gefängnis wie das geraten, in dem er die ersten achtzehn Jahre seines Lebens verbracht hatte.
    Das Telefon schrillte, und gespannt griff Gilbert Birou zum Hörer, auf diesen Anruf hatte er gewartet. Die Stimme des UN-Ge neralsekretärs klang ruhig, wie immer. Sie wechselten zwanglos ein paar Worte und kamen dann zur Sache. Birou erzählte alles, was er von Leo Kara, dem Polizeichef der UN-Operation im Sudan und dem sudanesischen Innenminister über den Mord an Ewan Taylor erfahren hatte. Das war nicht viel.
    »Haben die sudanesischen Behörden jemanden verhaftet, gibt es Verdächtige?«, fragte der Generalsekretär, als Birou mit seiner Zusammenfassung fertig war.
    Birou überlegte einen Augenblick. »Noch nicht. Aber der Innenminister hat versprochen, mich auf dem Laufenden zu halten.«
    »In Darfur sind schon Hunderttausende Menschen ums Leben gekommen, Millionen mussten ihr Zuhause verlassen, die sudanesischen Flüchtlinge vegetieren in Lagern überall in Ostafrika vor sich hin, und die UN haben im Sudan Zehntausende von Mitarbeitern und Blauhelmen. Die Sudan-Operation darf wegen dieses Mordes nicht noch weiter erschwert werden«, sagte der Generalsekretär. »Tun Sie alles in Ihrer Macht Stehende, damit er aufgeklärt wird.«
    Nach dem Telefongespräch erhob sich Birou und trat ans Fenster. Überraschungen dieser Art hasste er, sie brachten das Boot ins Schwanken und bedrohten die Balance seiner Welt. Er schaute hinunter: Draußen auf der Terrasse vor dem Restaurant, der Bar und dem Café saßen auch am späten Abend noch Leute. In den hiesigen UN-Einrichtungen waren über viertausend Menschen beschäftigt. Die Wiener hatten den Gebäudekomplex UNO-City getauft, und das Gelände glich in der Tat einer UN-Stadt, hier arbeiteten Menschen aus über hundert verschiedenen Ländern. Gilbert Birou hatte sich in den fünf Jahren als Chef des UNODC hier in der UNO-City sehr wohl gefühlt.
    Er holte aus der Schublade seines Schreibtischs die Mappe »Kara« und breitete die Unterlagen vor sich aus. Der Mann hatte einen Webfehler, das wusste Birou, aber wie gefährlich war der? Hatte der finnisch-britische Hitzkopf seinen Freund Ewan Taylor umgebracht? War Leo Kara imstande, jemanden zu töten? Wahrscheinlich ja, musste sich Birou eingestehen. Kara war wegen seiner Gewaltausbrüche auch schon gerichtlich belangt worden, vielleicht hatte der Mann die Nerven verloren und Taylor im Affekt getötet.
    Wäre da nicht sein problematischer Charakter, hätte Kara es sicher zu einer außergewöhnlich steilen internationalen Karriere gebracht. Der Mann besaß

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