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Schwarz

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Titel: Schwarz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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Haare. Was für eine Rolle würde der Oberst heute spielen? Den volkstümlichen Beduinen oder den scharfsinnigen Diplomaten? Gaddafi überraschte ihn immer wieder. Der Mann, der 1942 am Rande von Sirte in einer armen Familie beduinischer Nomaden geboren worden war, hatte Mitte der sechziger Jahre an der Königlichen Militärakademie im britischen Sandhurst studiert und schon 1969 in Libyen die Macht übernommen, lange vor Osmans Geburt.
    Der Diener reichte den Männern die Teegläser, deckte den Tisch mit Obstschalen und einem Wasserkrug und verließ dann das Zelt. Osman kostete den süßen Tee und überlegte, ob das Zelt nur für dieses Treffen errichtet worden war oder ob sie in einem von Gaddafis ständigen Verstecken saßen. Der Oberst war dafür bekannt, dass er das ganze Jahr über in seinen prächtig ausgestatteten Beduinenzelten wohnte. An den Wänden hingen nur Dinge, die man im Handumdreheneinpacken konnte: Wasserbehälter, Sättel, Handfeuerwaffen, ein Schwert, ein paar Gefäße und Teppiche.
    »Dein Anliegen ist zweifellos wichtig, da du dich in so einem kritischen Augenblick mit mir treffen wolltest. Unsere zweite Rakete wird in reichlich siebzehn Stunden an ihrem Ziel und im Bewusstsein der Welt einschlagen.«
    »Der Start muss vorgezogen werden«, sagte Osman und sah das erste Mal in seinem Leben, wie Gaddafi vor Verblüffung der Mund offen stehen blieb.
    »Was ist geschehen?«, fragte Gaddafi.
    »Die Briten wissen, wo die Raketen sind. Und dass ich Nazir bin.« Osman wurde klar, dass es sich so anhörte, als hätte er Angst. Er senkte die Stimme. »Wir müssen zuschlagen, bevor die Raketen vernichtet werden.«
    »Woher stammen diese Informationen?«
    Osman breitete die Arme aus. »Einer meiner Untergebenen, ein Oberst des Sudanesischen Aktiven Nachrichtendienstes, hat es von einem Vertreter der UN gehört.«
    Gaddafi saß eine Weile still da und wedelte mit der Fliegenklatsche, obwohl in dem Zelt nicht ein einziges Insekt herumflog. »Ich halte die Informationen für nicht sehr zuverlässig. Zumindest die Behauptung, jemand habe die Verstecke der Raketen herausgefunden. Das ist eigentlich fast unmöglich – niemand kennt die Standorte aller Marschflugkörper. Auch die Leiter der Raketenkommandos haben nur die Koordinaten des Abschussortes ihrer Rakete. Und die Ziele aller fünf Anschläge kennen auch nur wir zwei. Ein Vorziehen der Anschläge ist genauso unmöglich, niemand weiß, welche fünf Staatsoberhäupter die Kontaktdaten der einzelnen Raketenkommandos besitzen. Da kann man nichts tun, das wirst du sicher am besten verstehen, schließlich hast du den ganzen Plan selbst entwickelt.«
    »Du könntest Kontakt zu den anderen dreiundzwanzig Staatschefs aufnehmen, die Situation erläutern und ein Vorziehen des Anschlags verlangen. Dann würde der richtige Mann zwangsläufig deine Botschaft erhalten«, schlug Osman vor. »Das könnte gelingen.«
    Gaddafi lächelte diplomatisch. »Ich würde mein Gesicht verlieren,wenn ich von den Vereinbarungen abweiche, und das will ich nicht. Und ich kann offen gesagt nicht glauben, dass die Briten die Standorte der Raketen kennen. Warum haben sie die Raketen dann noch nicht zerstört?«
    Osman kam sich vor wie ein Esel. Wenn ein Vorziehen der Anschläge gar nicht erforderlich war, dann blieb als einziges Problem … sein eigenes Schicksal. »Und dass der Westen Khartoum besetzt, glaubst du das auch nicht?«
    Gaddafi runzelte die Brauen. »Du meinst sicher, ob ich nicht glaube, dass du in Gefahr bist. Meine Antwort ist – doch, das glaube ich. Jemand kann sehr wohl herausgefunden haben, dass die Raketendrohung und der Islamische Staatenbund der Sahel-Sahara zu einem großen Teil deine Idee sind. Du veröffentlichst allzu eifrig Aufsätze, vielleicht ist man dir dadurch auf die Spur gekommen. Die westlichen Nachrichtendienste verfügen über Tausende Mitarbeiter und nahezu unbegrenzte Mittel. Wir alle müssen mit der Gefahr leben, entdeckt zu werden. Auch in diesem Krieg ist keiner unersetzlich, nicht einmal du. Man darf nicht vergessen, um welch große Ziele es hier geht – um einen islamischen Staatenbund von fünfundzwanzig Ländern!«
    Osman hatte nicht die Absicht, auf seinem Wunsch zu bestehen. Er wäre sehr wohl in der Lage, vor den Briten zu fliehen, bis auf die Erpressung eingegangen würde. Danach wären er und die vierundzwanzig anderen Staatschefs in Sicherheit. Heutzutage verübten nicht einmal mehr der CIA und der SIS Attentate auf

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