Schwarz
ein barmherziger Schock das Bewusstsein nahm.
Ein Knüppel krachte an die gefleckte Stirn der Hyäne, das Tier heulte auf wie ein Pudel und machte sich blitzschnell davon.
»Beweg dich nicht, der Draht kann bis auf den Knochen eindringen. Ich mache ihn gleich ab.« Die Worte erklangen in Englisch hinter Leo, er verdrehte den Kopf und stöhnte vor Schmerz auf. Es war der Junge, dem er auf seiner Flucht aus Khartoum das Wasser und seinen Proviant gegeben hatte – Kafi. Kein Mensch hätte sich in diesem Moment mehr über den Anblick eines anderen gefreut als Kara.
»Die Falle ist gedacht für Hyänen. Sie kommen nachts und suchen am Rand des Lagers etwas zu fressen, und die Erwachsenen haben Angst um die kleinen Kinder. Eine Hyäne überlebt das nicht. Wenn die Falle zuschnappt, reißt der Baum das Tier hoch, damit es nicht sein Bein durchnagen kann«, sagte Kafi und betrachtete die Akazie, an der das Drahtseil festgebunden war.
Kara empfand so viel Dankbarkeit für den Jungen, dass er kein Wort herausbrachte.
»Ich habe gesehen, wie du durch das Lager gerannt bist und die Soldaten dich verfolgt haben. Ich wollte warten, bis der Wächter wegging, ich habe geahnt, dass er bald Wasser braucht. Er kommt bestimmt gleich zurück, wir müssen uns beeilen.« Kafi kletterte geschicktauf die Akazie, holte etwas aus der Tasche seiner zerrissenen Shorts heraus und schlug ein paarmal an den Baumstamm, bis das Drahtseil mit einem sirrenden Geräusch riss.
Kara biss die Zähne zusammen und lockerte die Drahtschlinge, die am Knöchel in die Haut eingedrungen war. Vor Schmerz liefen ihm Tränen über die Wangen, aber schreien konnte er nicht. Endlich löste sich das Seil. Er zog sein Leinenhemd aus, riss einen Ärmel heraus und wickelte ihn als Verband straff um den Knöchel. Ohne zu zögern, hätte er alles, was er besaß, für eine Packung Schmerztabletten hergegeben.
»Ich habe dir Wasser und etwas zu essen besorgt. Nicht viel, aber …«
Der Junge hielt Kara die Flasche hin, und der riss sie ihm fast aus der Hand und trank einen Liter, ohne ein einziges Mal abzusetzen.
»Danke.« Kara schnaufte und langte mit dem Finger in den trockenen Durra-Brei. »Irgendwo hier in der Nähe ist … ein großes Fabrikgebäude, das … von Ausländern genutzt wird«, sagte er mit vollem Mund. »Kannst du mich dorthin führen?«
»Aber natürlich, da findet sich manches, was man mitgehen lassen kann, deswegen ist das ein beliebter Ort«, antwortete Kafi und grinste. »Kannst du denn überhaupt laufen?«
***
Eine Reise von zweitausendsiebenhundert Kilometern kommt einem nicht lang vor, wenn das Verkehrsmittel schnell ist. Das Treffen Rashid Osmans mit Muammar Gaddafi fand in der Abgeschiedenheit der Sahara vierhundertsechzig Kilometer südlich vom südostlibyschen Kufra und vierhundertvierzig Kilometer westlich der nordsudanesischen Stadt Dongola statt. Gaddafi flog mit einem russischen MiG-23-Kampfjet der libyschen Luftstreitkräfte nach Kufra und von dort mit einem Kampfhubschrauber vom Typ Mi-25 zum Treffpunkt in der Wüste. Osman flog mit einer MiG-29 nach Dongola und dann weiter mit einem Mi-24-Hubschrauber.
Zwei Stunden nach seinem Anruf bei Muammar Gaddafi kletterte Rashid Osman aus dem Helikopter, betrat die libysche Wüste und bewunderte Gaddafis Beduinenzelt, während das Knattern der Rotorblätternachließ. Die Tarnung war genial, die Umrisse des Zelts konnte man nicht einmal aus zwanzig Metern richtig erkennen. Kein einziges Satellitenfoto würde das Versteck verraten. Die Sonne sengte unbarmherzig am Himmel, die karge Wüste flimmerte in der heißen Luft, Sandstaub drang in den Mund, die Augen und die Nasenlöcher.
Vier Leibwächterinnen in Tarnanzügen lächelten ihm am Eingang des Beduinenzelts zu. Gaddafi erzählte den Medien gern, dass die Mitglieder der Leibgarde Jungfrauen waren, aber Osman kannte zumindest bei einer der Frauen die Wahrheit.
Eine Leibwächterin hob den Vorhang hoch, und Osman trat auf dem grünen Seidenteppich ein.
»As-salamu’ -alaikum.«
»Wa’-alaikumu s-salam.«
Die Männer tauschten Wangenküsse aus und setzten sich dann auf luxuriöse Seidenkissen. Keiner von beiden sprach, als ein Diener Gläser auf ein silbernes Tablett setzte und mit geübten Bewegungen aus großer Höhe Tee eingoss.
Osman betrachtete seinen Gastgeber, der mit einer Fliegenklatsche aus Rosshaar wedelte. Gaddafis Haar musste gefärbt sein, ein fast siebzigjähriger Mann hatte wohl kaum von Natur aus noch pechschwarze
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