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Schwarz

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Titel: Schwarz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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Sahel-Sahara-Region sorgfältig geplant und war bei der Umsetzung seines Plans ruhig, systematisch und rational vorgegangen. Und nun, wenige Stunden vor der langersehnten Rache, war alles in Gefahr. Das konnte er nicht zulassen, der Erfolg des Raketenanschlags am nächsten Morgen musste gewährleistet sein. Das war in jeder Hinsicht der wichtigste aller fünf Anschläge. Seine persönliche Vergeltung.
    Es war eine geniale Idee gewesen, die Raketenanschläge und seine Rache miteinander zu verknüpfen. Die Adresse für die Rakete, die am nächsten Morgen starten würde, lautete »UNO-City Wien«. Und es war garantiert kein Zufall, dass der UNO-Generalsekretär, der Mann, der den Tod seines Bruders, seiner Schwester und Mutter herbeigeführt hatte, gerade an dem Tag in Wien und in der UNO-City zu Besuch weilte.
    Jetzt musste er Verbindung zum Vermittler aufnehmen. Die fünfundzwanzig Staatschefs, die den Staatenbund und das Raketenultimatum beschlossen hatten, waren dafür kein einziges Mal zu einer Begegnung zusammengekommen. Es erwies sich als unmöglich, ein Gipfeltreffen zu organisieren und so geheim zu halten, dass die westlichen Nachrichtendienste nichts davon erfuhren. Also hatte Osman für seinen Plan einen Fürsprecher ausgewählt, einen Vermittler, der unauffällig alle dreiundzwanzig Staatschefs besuchen konnte, um ihnen Osmans Plan vorzulegen und ihre Einwilligung und Unterstützung einzuholen. Einen besseren Vermittler als den libyschenFührer Muammar Gaddafi gab es nicht: Der dienstälteste Herrscher in Afrika und Präsident der Afrikanischen Union plante seit den siebziger Jahren selbst einen islamischen Bundesstaat in der Sahel-Sahara-Region. Und überdies war der Mann ein genialer Diplomat. Im neuen Jahrtausend hatte Gaddafi auf die Entwicklung von Massenvernichtungswaffen verzichtet, die Verantwortung für das Flugzeugattentat von Lockerbie übernommen und Libyens diplomatische Beziehungen zum Westen verbessert, um in Ruhe Osmans Plan verwirklichen zu können.
    Rashid Osman brauchte jetzt Gaddafis Hilfe, er selbst wäre nicht imstande, einen der Raketenanschläge entweder vorzuziehen oder abzusagen. Bei einer Gipfelkonferenz der Afrikanischen Union im Januar des laufenden Jahres hatten sich die fünfundzwanzig Präsidenten des künftigen Staatenbundes der Sahel-Sahara-Region kurz in einem Besprechungsraum versammelt, wo jeder von ihnen aus einem Krug einen kleinen Zettel zog. Fünf der Machthaber erhielten so die Kontaktdaten jeweils eines Raketenkommandos und den Code für die Annullierung des Starts. Jeder von ihnen musste einen der fünf Raketenanschläge absagen, wenn die UNO, der Internationale Währungsfonds und die Weltbank auf ihre Forderungen eingingen, das hieß, sobald die internationalen Nachrichtenkanäle über den Schuldenerlass für die fünfzig ärmsten Staaten der Welt berichteten. Niemand wusste, wer die fünf Staatsoberhäupter waren, die jeweils für eine Rakete die Kontaktdaten und Annullierungscodes besaßen.
    Rashid Osman griff zum Telefon.
    ***
    Leo Kara trieb am Rande der Bewusstlosigkeit dahin, die entkräftende Hitze drückte wie ein Harnisch, der Durst glich einer brennenden Gier, wie er sie noch nie erlebt hatte, und vom Knöchel im Würgegriff des Drahtseils drängte der Schmerz wie ein glühendes Eisen in den ganzen Körper. Die Sonne würde bald untergehen. Er hatte schon Stunden in der Hitze gelitten, die Haut am linken Unterschenkel war feuerrot. Der Soldat war vermutlich ins Flüchtlingslager gegangen, um sich Wasser zu holen. In seinem Kopf lief pausenloseine Sequenz aus einer Nachrichtensendung ab: Menschen springen aus den Fenstern eines brennenden Wolkenkratzers, sie fallen wie Blätter vom Baum hinab in den Tod. Damals hatte er sich gefragt, wie sie dazu fähig gewesen waren. Doch jetzt erschien ihm diese Lösung ganz natürlich. Der Mensch kann nur ein bestimmtes Maß an Schmerz aushalten, und bei ihm wäre die Grenze des Erträglichen bald überschritten.
    Plötzlich bemerkte Kara einen stechenden Geruch. Kam der vom Lager, hatte sich der Wind gedreht? Dann bewegte sich etwas auf dem Sand. Er lauschte angestrengt, wandte den Kopf und sah etwa zwei Meter entfernt eine erschreckend hässliche Kreatur – eine Hyäne. Das Raubtier knurrte, öffnete das Maul und entblößte seine Reißzähne, die aus dem hellroten Zahnfleisch herausragten. »Der Sturz aus einem Wolkenkratzer ist nicht das Schlimmste, was einem Menschen passieren kann«, dachte Kara noch, ehe ihm

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