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Schwarz

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Titel: Schwarz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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erhielt als Erster in seiner Familie einen Studienplatz an der Universität.« Ketonen legte eine Pause ein, um seinen Suppenteller auszulöffeln.
    »Der Boss schloss sich dem Zentralverband der Sozialdemokratischen Studentenjugend SONK an und engagierte sich voll in der Studentenpolitik, gerade als in Finnland eine beispiellose Ära des Jugendradikalismus begann: das verrückte Jahr 1968. Der Prager Frühling, der darauf folgende Sommer mit den Demonstrationen und die Besetzung des Alten Studentenhauses in Helsinki durch die Studenten. Damals gab es ein einschneidendes Ereignis. Der Boss nahm im August 1968 an einer Demonstration gegen die Besetzung der Tschechoslowakei vor der Botschaft der Sowjetunion in der Tehtaankatu teil, wurde verhaftet und zum Verhör bei der Sicherheitspolizei gebracht. Ich erinnere mich zufällig recht genau an die Ereignisse dieses Sommers, ich hatte gerade erst in der Zentrale der Kriminalpolizei angefangen, und bei den Demonstrationen und Krawallen wurden Dutzende Polizisten verletzt.«
    »Aber für die Geschichte vom Boss ist wesentlich, dass über ihn bei der SUPO oder SUOPO, wie man damals sagte, eine Akte angelegt wurde, und auf diesem Wege landete sein Name bei den Sowjets. Natürlich gab es auch in der finnischen Sicherheitspolizei undichte Stellen«, fügte Ketonen lachend hinzu, als er Karas überraschte Miene bemerkte.
    »Nur eine Woche nach seiner Verhaftung durch die SUPO lud der damalige Vizechef der KGB-Filiale in Finnland, Albert Akulow, den Boss zu einem Abendessen ins Restaurant ›Torni‹ ein, und zum Abschluss des dreistündigen Essens vereinbarte man das nächste Treffen in der Sauna des Hotels ›Seurahuone‹. Der Boss hatte den Köder geschluckt.«
    »Warum suchte der KGB Kontakt oder … warum warb er gerade den Boss an?«, fragte Kati Soisalo.
    Ketonen aß seinen Vorschmack mit sechs Gabelladungen und trank dazu Buttermilch. »Zu jener Zeit wollte der KGB alles wissen, beobachten und kontrollieren, er war nicht nur bestrebt, die finnische Innen- und Außenpolitik zu beeinflussen, sondern versuchte auch die Gewerkschaften, Kreise der Intelligenz, die Massenmedien, das Kulturleben, die Kirche und die Wirtschaft zu unterwandern. Ärgerlicherweise gelang ihm das in Finnland leichter als in anderen westlichen Ländern. Mit dem Prager Frühling und der Entstehungradikaler Studentenbewegungen überall in der Welt wurde die Rekrutierung unter den Jugendorganisationen der politischen Parteien zu einer der wichtigsten Aufgaben des KGB. Finnland war das einzige Land, in dem es einen KGB-Offizier gab, der speziell für die Beobachtung der politischen Jugendorganisationen zuständig war. Der KGB bemühte sich systematisch um Kontakte zu Leuten mit Zukunft. Mit viel Eifer suchte man unter den ehrgeizigen jungen Menschen Kader, die als Geheimdienstagenten geeignet waren.«
    Kara legte die Stirn in Falten. »Finnland ist ein ziemlich kleines Land, warum sollte sich die Sowjetunion, eine Supermacht, so sehr dafür interessiert haben?«
    »Finnland war für die Sowjetunion das Tor zum Westen. Und wir mussten politisch gesehen brave Jungs sein. Die Beziehungen Finnlands zur SU sollten um jeden Preis gut bleiben, denn man fürchtete, die Sowjets könnten sich sonst auf den Artikel über die militärische Zusammenarbeit im Vertrag über Freundschaft, Zusammenarbeit und gegenseitigen Beistand zwischen beiden Ländern berufen oder Truppen nach Finnland schicken wie 1956 nach Ungarn und 1968 nach Prag. Der KGB nutzte die Ängste der Finnen natürlich ungeniert aus.«
    Ketonen kam bei seinen Erinnerungen immer mehr in Fahrt. »Im Jahr 1971 arbeiteten in den Geheimdiensteinrichtungen der Sowjetunion in Finnland bezogen auf die Bevölkerungszahl mehr Offiziere als irgendwo anders in der Welt. Und zusätzlich wurden fieberhaft Finnen angeworben, die dann im Dienst des KGB standen. Mitte der Achtziger hatte der KGB zahlreiche finnische Agenten, vertrauliche Kontakte und Leute, die er für eine Zusammenarbeit vorbereitete, in der Tasche.«
    »Und wie hängt das mit dem Boss, Fennica und Wartsala zusammen?«, fragte Kara.
    Ketonen schaute den jungen Mann grimmig an und hatte schon eine spitze Entgegnung auf der Zunge, aber das Erscheinen des Kellners besänftigte ihn. Er bekam sein Pfeffersteak vorgesetzt, das auf dem Rost zischte, und dazu die vor Fett triefende warme Braumeisterschnitte.
    »Der KGB sorgte dafür, dass seine Leute einflussreiche oder nützlichePosten in den wichtigsten

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