Schwarz
Blicken verfolgten. Ob das wohl daran lag, dass sie das alles überhaupt nicht beachtete? Die wie ein Mann gekleidete Frau mit dem schönen Gesicht und dem strengen Ausdruck fiel auf, das musste Kara sich eingestehen.
Nach der Beschreibung der Hauptkommissarin Lukkari erkannte Kara den ehemaligen SUPO-Mitarbeiter sehr schnell: ein Mann mit Bauch, grauen Haaren und Hosenträgern. Kara und Soisalo stellten sich vor.
»Ist alles in Ordnung? Ihr seht ziemlich geschafft aus«, fragte der Ex-SUPO-Chef Jussi Ketonen, der nur kurz von der Speisekarte aufschaute.
»Gestern war ein schwerer Tag«, antwortete Kati Soisalo. »Wir haben die Leiche von Otto Mettälä, dem ehemaligen Fennica-Direktor, gefunden …«
Ketonen hatte sich wieder in die Lektüre vertieft. »Ich würde gerne etwas à la Carte bestellen, da wir uns nun einmal in einer Gaststätte verabredet haben. Diese Speisekarte ist allerdings eine Büchse der Pandora. Von den Gerichten hier bekommt man nach Ansicht meiner Frau alle Plagen dieser Welt: Blutdruck, Cholesterin, Herzkranzgefäßerkrankungen, Krebs, Schlaganfall und Herzinfarkt. Was mich betrifft, wurde ein Teil davon schon ausprobiert.«
Kara wunderte sich, dass Ketonen sich so verhielt, als habe er nicht gehört, was Kati Soisalo über Mettälä gesagt hatte. »Wussten Sie schon von Otto Mettäläs Tod?«
»Nein, aber er überrascht mich auch nicht. Nun setzt euch erst mal hin und bestellt etwas zu essen, dann erzähle ich euch, weshalb«, sagte Ketonen und winkte den Kellner heran.
»Als Vorspeise eine Lachssuppe mit Sahne und einmal ›Vorschmack‹ aus Hackfleisch und Hering, aber bitte keine Kinderportionen. Und als Hauptgericht ein Pfeffersteak vom Rost nach traditioneller Art, und bringen Sie mir dazu noch eine Braumeisterschnitte und ein Glas Buttermilch.«
Als Kara und Soisalo ihre wesentlich bescheideneren Bestellungen aufgegeben hatten, schob Ketonen die Hände unter die Hosenträger, beugte sich zu den beiden hin und schaute Kara in die Augen.
»Ich habe von meinem ehemaligen Arbeitgeber, der Sicherheitspolizei, erfahren, dass diese Globeguide-Ermittlungen möglicherweise mit einer Kette von Ereignissen zusammenhängen, die vor Jahrzehnten ihren Anfang nahm und die SUPO interessiert. Deshalb erhielt ich die Erlaubnis, euch zu helfen. Aber ich warne euch,alles, was ich sage, ist inoffiziell und stimmt nicht einmal unbedingt. Das Alter macht sich nämlich bemerkbar, und das Gedächtnis streikt zuweilen. Deshalb wollten sie bei der SUPO bestimmt, dass gerade ich mit euch spreche«, sagte Ketonen schmunzelnd.
»Oder weil Sie zweiunddreißig Jahre bei der SUPO gearbeitet haben, davon die letzten acht Jahre als ihr Chef«, ergänzte Kati Soisalo und bewies, dass sie sich auf das Treffen vorbereitet hatte.
Kara musterte Ketonen. Der korpulente Mann hatte eine joviale und ungezwungene Art, aber irgendetwas an ihm ließ Kara vermuten, dass es besser war, wenn man ihn sich nicht zum Feind machte.
»Ihr wolltet mit mir über Otto Mettälä reden, aber da der nun tot ist, werde ich euch wohl von einem anderen finnischen Unternehmenschef erzählen. Die Geschichte des Manns, nennen wir ihn mal Boss, hilft euch, zu verstehen, worum es geht. Er wurde Ende der vierziger Jahre geboren, als erstes Kind einer nach damaligen Maßstäben stinknormalen Kleinbauernfamilie. Etwa zwanzig Hektar Anbaufläche, dazu ein Stück Wald, das Hauptgebäude ein Blockhaus, ein Kuhstall mit Steinfundament, ein paar Nebengebäude und eine Sauna am Seeufer. Durch das Getreide, das Holz und das Vieh lebte man auf dem Hof der Eltern weitgehend als Selbstversorger. Als der Boss zwei Brüder und eine Schwester bekam, verdiente sich sein Vater, ein Kriegsveteran, mit Zimmermannsarbeiten und beim Fischen etwas dazu. Ziemlich idyllisch, stimmt’s.« Ketonens Geschichte wurde unterbrochen, kaum dass sie begonnen hatte, als er gleichzeitig die Lachssuppe, den Vorschmack und das Glas Buttermilch vorgesetzt bekam. Zufrieden kostete er alle drei.
»In den fünfziger Jahren gab es dann elektrischen Strom auf dem Hof, und der Boss kam auf die Volksschule. Danach beschlossen die Eltern, den intelligenten und aufgeschlossenen Jungen aufs Gymnasium zu schicken. Er war zu seinem Glück das erste Kind der Familie, seine Geschwister mussten sich nämlich mit sechs Jahren Volksschule begnügen. Der Boss konzentrierte sich voll auf seine Ausbildung, machte das Abitur mit fünfmal ›sehr gut‹, besuchte die Reserveoffiziersschule und
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