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Schwarzbuch Bundeswehr - Überfordert, demoralisiert, im Stich gelassen -

Titel: Schwarzbuch Bundeswehr - Überfordert, demoralisiert, im Stich gelassen - Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C. Bertelsmann
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versichern. Ein auch in Deutschland nicht ganz unbekanntes Phänomen, denkt man an die Volksweisheit »Drei Juristen – sechs Meinungen«. Einige Beispiele aus Afghanistan: Diebstahl wird in einigen Regionen durch Handabhacken geahndet, in anderen ist lebenslange Verbannung aus dem Ort die Strafe. Bei Ehebruch wird in einigen Landesteilen nur der tatsächliche Ehebrecher bestraft, in anderen sein Lebenspartner, da dieser als wahrer Auslöser für die Freveltat angesehen wird, weil er dem Ehepartner nicht geben wollte, worauf dieser in der Ehe ein Anrecht hatte. Es ist also falsch, die Anwendung der Scharia auf unterschiedliche Strafmaßstäbe für Männer und Frauen zu reduzieren; natürlich gibt es sie, aber sie unterliegen genauso dem Interpretationsspielraum. Ihre Rechtsbegründung kann von Ort zu Ort differieren, da sie oft durch die Normen von Stammesgesetzen überlagert werden, die in dieser Region – im Gegensatz zu allen öffentlichen Verlautbarungen – eben doch einen höheren Legitimationsgrad als die Scharia besitzen.
    Je tiefer man sich in die Frage der unterschiedlichen Rechtssysteme hineinbegibt, desto komplizierter mutet die Sachlage an. Für die Soldaten der Bundeswehr sind während eines Einsatzes in Afghanistan folgende Aspekte von entscheidender Wichtigkeit:
    • Durch die Scharia genießen, genau wie in unserem Rechtsverständnis, Frauen und Kinder sowie am Kampf unbeteiligte Männer (z. B. Geistliche, Ärzte, Behinderte) besondere Schutzrechte.
    • Auch in der Scharia gibt es unterschiedliche Grade von Rechtsverstößen, die mit unterschiedlicher Härte vom Gesetz bestraft werden. Es gibt sozusagen lässliche Sünden bis hin zu Todsünden. Lässliche Sünden stellen zwar einen Verstoß dar, aber dieser wird nicht bestraft (etwa die Gebetsfrequenz oder die Teilnahme am Heiligen Krieg). Daneben gibt es jene Handlungen, bei denen es jedem Individuum anheimgestellt bleibt, selbst zu entscheiden. Und es gibt von Grund auf verwerfliche und verbotene Handlungen. Verwerfliche werden moralisch, aber nicht vom Gesetz verurteilt – und verbotene Handlungen, sozusagen die Todsünden in christlicher Terminologie, werden immer und auf jeden Fall bestraft (hierzu gehören im Islam Alkoholkonsum, Homosexualität und Gottesverachtung).
    • Und schließlich kennt auch die Scharia eine erhöhte Schuld und entsprechende Strafverschärfung bei einem bewusst geplanten und in voller Absicht begangenen Rechtsverstoß.
    Natürlich wäre es vollkommen undurchführbar, den Soldaten der Bundeswehr, bevor sie den Boden eines Einsatzlandes betreten, im Rahmen ihrer Vorausbildung die abweichenden – und auch die ähnlichen – Gesetze und Gesetzesauslegungen, die dort Gültigkeit haben, zu vermitteln. Sie ganz ohne diesbezügliche Aufklärung in ein Kriegsgebiet zu schicken, ist allerdings verantwortungslos und für sie lebensgefährlich, denn nichts braucht ein Soldat im Kampfeinsatz mehr als verlässliche und für alle Situationen gültige Verhaltensregeln und Gesetzesnormen. Schließlich ist er es, der bei der Frage nach Leben oder Tod von anderen Menschen die Verantwortung übernimmt.
    2.5 Das schlimme K-Wort
    Immer mehr Politiker sprechen es aus, das schlimme K-Wort. Ja, wir befinden uns im Krieg, zumindest aber in kriegsähnlichen Zuständen. Soldaten nennen es schon längst so, weil sie vor den Realitäten weniger Angst haben dürfen als Politiker.
    Ein Zitat aus dem letzten Bericht des ehemaligen Wehrbeauftragten Reinhold Robbe zeigt in aller Deutlichkeit, was nach Einschätzung von Soldaten Krieg ist: »Ich traf während des Aufenthaltes in Kundus mit den Angehörigen jener Schnellen Eingreiftruppe zusammen, die wenige Stunden zuvor in Gefechte verwickelt waren. In dieser Gesprächsrunde schaute ich in die Gesichter der überwiegend noch sehr jungen Soldaten, die gezeichnet waren von den schrecklichen Erlebnissen im Gefecht. Sie schilderten mir anschaulich, wie ihre Patrouille in einen Hinterhalt geraten war und dann mit Panzerfäusten und anderen schweren Waffen vom Gegner stundenlang attackiert wurde. Es gab verwundete Kameraden, für die jedoch keine Lebensgefahr mehr bestand. Die Soldaten schilderten mir aber auch, wie etliche der gegnerischen Kräfte getroffen und vermutlich auch getötet wurden. Spätestens nach diesen Schilderungen wurde mir richtig bewusst, was es für die Soldaten bedeutet, wenn man diese Gefechte, die sich im Grunde durch nichts von anderen Kriegsszenarien unterscheiden, in der

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