Schwarzbuch Bundeswehr - Überfordert, demoralisiert, im Stich gelassen -
Heimat verharmlosend als ›Unterstützungseinsatz für die afghanische Regierung‹ bezeichnet.«
Gerade in solchen Situationen nach einem Gefecht wäre es besonders wichtig und auch menschlich erforderlich, den Soldaten nicht nur das Gefühl zu vermitteln, dass man an ihrer Seite steht, sondern dass sie auch mit dem Recht auf ihrer Seite gekämpft haben und nichts, aber auch gar nichts an ihrem Handeln moralisch zu kritisieren ist.
Wie also lautet die korrekte und auch mit den Realitäten übereinstimmende Bezeichnung für das, was deutsche Truppen in Afghanistan tun?
Dass sich in jedem Kampfeinsatz unterschiedliche Rechtssysteme gegenüberstehen, überlagern, in Einklang gebracht werden müssen, wurde im letzten Abschnitt thematisiert – samt der für den einzelnen Soldaten unzumutbaren ungeklärten Rechtslage.
Noch unklarer und noch ungeklärter wird die rechtliche Situation, sobald nicht nur deutsches und afghanisches Recht als gültiger Verhaltenskodex im Einsatzgebiet gelten sollen, sondern auch die internationale Rechtsposition, neben dem Grundgesetz der zweite Pfeiler deutschen Rechtsverständnisses. Diese internationale Rechtsposition ist im Völkerrecht festgeschrieben.
Das Völkerrecht
besitzt überstaatliche Gültigkeit, das heißt, sein Wirkungs- und Anwendungsbereich gilt weltweit, denn es regelt die Beziehungen und Umgangsformen zwischen Staaten und nicht zwischen einzelnen Menschen. Das sämtlichen Einzelbestimmungen zugrundeliegende Prinzip des Völkerrechts ist die Gleichrangigkeit aller Staaten, vergleichbar der Gleichrangigkeit aller Individuen im deutschen Grundgesetz.
Aus dieser Grundlage wird ein allgemeines Gewaltverbot abgeleitet, das in der Charta der Vereinten Nationen, die wiederum Bestandteil des Völkerrechts ist, niedergelegt wurde. Das Gewaltverbot ächtet ausnahmslos alle Angriffskriege.
Ein Blick auf unseren Globus, eine auch nur kursorische Betrachtung der jüngsten Geschichte genügen, um festzustellen, wie umfassend diese Bestimmung des Völkerrechts mit Füßen getreten wird. Wozu also ein solch übergreifendes Rechtssystem, wenn sich kaum einer daran hält? Ein Teufelskreis, denn je größer der Zweifel am Sinn des Völkerrechts, desto unwahrscheinlicher wird seine Einhaltung. Gerade Supermächte, doch nicht nur sie, sind Vorreiter, wenn es um die Übertretung des Völkerrechts geht, denn sie sind auch deshalb Supermächte, weil andere Nationen deren Vorgaben einseitig einzuhalten haben, aber sie nicht die Vorgaben anderer.
Auch Sanktionen, die auf Verstöße gegen das Völkerrecht genauso folgen müssten wie bei jedem anderen Gesetzesbruch, greifen nicht. Es gibt zwar inzwischen einen Internationalen Gerichtshof, der für Prozesse auf der Grundlage von Völkerrechtsbestimmungen zuständig wäre; doch erstens unterwerfen sich gerade die Großmächte USA und China nicht seiner Zuständigkeit, und zweitens gilt auch hier wie in der gesamten weltweiten Rechtsprechung: Wo kein Kläger, da kein Richter. Und welcher Staat dieser Erde würde es wagen, eine Supermacht anzuklagen, wenn die Aussichten, den Prozess zu gewinnen, minimal sind? Welcher Staat würde das Prozessrisiko in Kauf nehmen, dass selbst ein erwirkter Urteilsspruch folgenlos bleibt? Welcher Kläger würde ein Gericht anrufen, das die Nichteinhaltung seiner Urteile noch nicht einmal durch Androhung eines höheren Strafmaßes weiterverfolgen könnte? Wer würde einen Prozess beginnen, wenn damit zu rechnen ist, dass der Urteilsspruch bestenfalls respektiert, aber dann trotzdem nicht vollzogen wird?
Da die Bundesrepublik Deutschland bisher keinen Zweifel daran gelassen hat, dass sie nicht nur Völkerrecht und Charta der Vereinten Nationen respektiert, sondern auch jedes Urteil des Internationalen Gerichtshofes anzuerkennen und umzusetzen bereit ist, seien hier trotz des beklagenswerten Gesamtzustandes die zentralen Bestimmungen des Völkerrechts erläutert, an die sich deutsche Soldaten bei einem Einsatz zu halten haben.
Das Kriegsvölkerrecht oder Völkerstrafrecht
regelt, welches Verhalten zwischen den Kriegsteilnehmern geduldet und welches strafbar ist. Sein Gegenstand ist also der Umgang mit der anderen Kriegspartei. Die im Kriegsvölkerrecht festgelegten Verpflichtungen haben das Ziel und die Absicht, die immer mit einem Krieg verbundenen Leiden und Schäden so gering wie möglich zu halten.
Zunächst wird definiert, was unter
Krieg
zu verstehen ist: »Ein unter Einsatz erheblicher Mittel mit Waffen
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