Schwarzbuch Bundeswehr - Überfordert, demoralisiert, im Stich gelassen -
Verantwortlichen in Regierung und Kontrollgremien. Mittlerweile gibt es unzählige Untersuchungen zu diesem Zwischenfall: Untersuchungen der Bundeswehr, Untersuchungen diverser Hilfsorganisationen, Untersuchungen der Bundesregierung, Untersuchungen des Oberkommandos von ISAF (International Security and Assistance Force – friedenssichernde und unterstützende Truppe in Afghanistan) und der NATO . Es gibt darüber hinaus zahllose Berichte in den in- und ausländischen Medien. Welchen will man Glauben schenken? Denen der Medien, der Regierung, der Bundeswehr selbst oder denen der NATO ? Rückblickend auf das, was in den vorausgehenden Kapiteln über die Vertrauenswürdigkeit der Informationspolitik von Politik, Militär und Journalismus schon dargestellt wurde, kann man nur unter Vorbehalt irgendeinem dieser Berichte Vertrauen schenken. Und eines wird ganz sicher keine dieser Untersuchungen leisten können: ein realistisches Bild dessen zu zeichnen, was vor Ort geschehen ist. Wer sich die Situation bewusst macht, wer die Anforderungen, den Druck, den gewaltigen Stress nicht kennt, unter denen lebenswichtige, ja überlebenswichtige Entscheidungen innerhalb von Minuten und manchmal Sekunden getroffen werden müssen, der wird nicht ermessen können, ob eine solche Entscheidung gerechtfertigt war oder nicht.
Soldaten, die selbst mehrfach in Afghanistan im Einsatz waren und dadurch die Rahmenbedingungen sehr gut kennen, können eine Entscheidung, wie sie der verantwortliche Oberst Klein zu fällen hatte, zumindest nachvollziehen. Denn was in den wenigsten Berichten erwähnt wurde, ist die Tatsache, dass unmittelbar vor dem Luftschlag auf den Tanklasterkonvoi vier deutsche Soldaten ganz in der Nähe bei Gefechten schwer verwundet wurden. Nahezu stündlich gehen Meldungen über unmittelbar bevorstehende Anschläge bei einer derartigen Operationszentrale ein. Wenn man dazu noch die Tatsache berücksichtigt, dass fast täglich die verschiedenen Feldlager unter Beschuss stehen, kann wohl jeder verstehen, wie blank die Nerven liegen. Natürlich darf der Oberkommandierende eines Feldlagers seinen Gefühlen nicht freien Lauf lassen, wenn er eine Entscheidung von so großer Tragweite zu fällen hat, trotzdem spielen solche Rahmenbedingungen zweifellos mit, denn es sind Menschen, die dort Dienst tun. Ist es so undenkbar, dass Oberst Kleins Entschluss in jener Nacht nach bestem Wissen und Gewissen und aus Sorge um die Sicherheit seiner Untergebenen gefällt wurde?
Unterstützt wird diese Argumentation im Bericht des damaligen Wehrbeauftragten Reinhold Robbe, der den seinerzeit verantwortlichen Kommandeur des Feldlagers Kundus, Oberst Klein, wie folgt beurteilt: »Nachdem ich (der Wehrbeauftragte) gemeinsam mit meinen Mitarbeitern im deutschen Feldlager Kundus gelandet war und unmittelbar danach zum Gespräch im Büro von Oberst Klein Platz genommen hatte, erreichte uns die Nachricht über ein schweres Gefecht, bei dem deutsche Soldaten von Aufständischen massiv beschossen wurden. In den folgenden 60 Minuten trafen fortlaufend weitere Meldungen ein über einen schwer verwundeten Soldaten, der schließlich gerettet werden konnte. Während dieser Stunde äußerster Angespanntheit, in der sich die eingehenden Meldungen aus dem laufenden Gefecht überschlugen, hatte ich Gelegenheit, einen Kommandeur zu erleben, der trotz der entstandenen Hektik und der eskalierenden Situation ruhig, professionell und besonnen seine Anweisungen gab. Was mir als Zeuge dieser Szene aus der realen Einsatzwirklichkeit jedoch am meisten Respekt abverlangte, war die Tatsache, dass für Oberst Klein das Wohlergehen seiner ihm anbefohlenen Soldaten die allererste Priorität hatte.«
Man kann also annehmen, dass Oberst Klein nicht einfach Entscheidungen fällt, durch die er wissentlich Unbeteiligten Schaden zufügt. Ganz im Gegenteil kann man dieser Persönlichkeitsbeurteilung entnehmen, dass er in erster Linie auf die Sicherheit seiner Untergebenen stets höchsten Wert legt.
Und wie steht es mit den offiziell Verantwortlichen während des Tanklasterbombardements in Kundus? Wer hat de facto und de jure bei einer Fehlentwicklung für die Aufklärung der Hintergründe und die Feststellung der Tatsachen zu sorgen? In Friedenszeiten ist der Verteidigungsminister der Oberkommandierende der Streitkräfte, im Kriegsfall der Bundeskanzler oder die Bundeskanzlerin. Nun befindet sich Deutschland zwar offiziell nicht im Krieg, umgangssprachlich könne man aber, laut
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