Schwarzbuch Bundeswehr - Überfordert, demoralisiert, im Stich gelassen -
Ex-Verteidigungsminister zu Guttenberg, das Wort »Krieg« durchaus verwenden. Einmal abgesehen davon, dass es Gefallene und in Gefechten Verwundete gibt, dass deutsche Streitkräfte Militärschläge führen und dabei schwere Kriegswaffen zum Einsatz bringen (und dass aufgrund zentraler Bestimmungen des Völkerrechts wie auch unserer Verfassung nicht sein kann, was nicht sein darf: eben Krieg) – wenn alle diese Argumente keine offizielle Gültigkeit für die Definition eines Krieges besitzen sollen, dann ist trotz verbreiteter gegenteiliger Überzeugung davon auszugehen, dass deutsche Truppen sich in Afghanistan nicht im Krieg befinden.
Dies angenommen, ist, wie schon gesagt, der Verteidigungsminister der Oberkommandierende und folglich auch der Zuständige für die Aufklärung des Vorfalls innerhalb der Bundeswehr. Dabei arbeitet ihm der Generalinspekteur als sein militärischer Berater zu. Dieser wird zwar vom Bundespräsidenten ernannt, aber vom Verteidigungsminister vorgeschlagen. Er ist der ranghöchste General der Streitkräfte oder, falls er aus der Marine kommt, der ranghöchste Admiral. Seit August 2002 übt er auch die Befehlsgewalt über alle militärischen Einsätze aus, ihm wurde das Einsatzführungskommando der Bundeswehr in Potsdam unterstellt. Eine Position, die mit sehr vielen Befugnissen ausgestattet ist.
Als weitere Funktionsträger, was die Zuständigkeit bei der Bundeswehr anbelangt, sind neben Verteidigungsminister und Generalinspekteur die Staatssekretäre im Verteidigungsministerium zu nennen. Staatssekretäre sind immer zugleich Regierungsmitglieder, in unserem Fall dem Minister der Verteidigung direkt unterstellt, und die höchsten Beamten dieses Ministeriums. Als Amtschefs sind Staatssekretäre die Verbindungsglieder zwischen politischen Ämtern und Beamtenfunktionen innerhalb des jeweiligen Ministeriums.
Drei Personen müssen namentlich genannt werden, die bei den Vorgängen in Kundus am 4. September 2009 in Amt und Würden waren: Verteidigungsminister Franz Josef Jung, Generalinspekteur Wolfgang Schneiderhan und Staatssekretär Dr. Peter Wichert. Alle drei haben im Nachgang zu den Vorfällen entweder durch Rücktritt oder durch Amtsenthebung ihre Zuständigkeit verloren. Der Vorwurf gegenüber allen dreien lautete auf verspätete, unvollständige und falsche Information gegenüber Regierung, Parlament und Öffentlichkeit über die Tötung von Zivilisten beim Tanklasterbombardement in Afghanistan. Genauer: Dr. Wichert habe einen Untersuchungsbericht nicht weitergeleitet, Wolfgang Schneiderhan Ermittlungsergebnisse verschwiegen und Franz Josef Jung Parlament und Öffentlichkeit getäuscht.
Die Aufklärung der Vorgänge zog sich über die Bundestagswahl 2009 hinaus in die Länge (ohne dass die Wähler vorher Auskunft über die wahren Hintergründe erhalten hatten), sodass der ehemalige Verteidigungsminister in der neuen Regierung nicht mehr im Amt des Verteidigungsministers war, doch nun als neuer Arbeitsminister trotz aller weiter gegen ihn bestehenden Vorwürfe wieder ein Regierungsamt innehatte. Es gab einen neuen Verteidigungsminister als direkten Vorgesetzten von Dr. Peter Wichert und mittelbar von Wolfgang Schneiderhan. Nach der Bundestagswahl konnte nun reiner Tisch gemacht werden: Innerhalb kürzester Frist wurden Wichert und Schneiderhan vom neuen Minister entlassen, und auch der alte Verteidigungsminister trat bald von seinem neuen Amt als Arbeitsminister zurück, was ihn zum Minister mit der kürzesten Amtszeit in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland machte.
4.1 Was geschah am 4. September in Kundus?
Da in der Geschichte der Bundeswehr kaum ein Zwischenfall mehr Aufsehen erregt hat als das Tanklasterbombardement am 4. September 2009, soll hier der Versuch unternommen werden, mithilfe vorliegender und der Öffentlichkeit nur schwer zugänglicher Dokumente, den groben Verlauf dieses Zwischenfalls zu rekonstruieren. Der als Top SECRET / VS – nur für den Dienstgebrauch/nur Deutschen zur Kenntnis – gekennzeichnete Untersuchungsbericht des 20. Deutschen Einsatzkontingentes ISAF vom 9. September 2009 bildet dafür die wesentliche Grundlage. Dieser Bericht spiegelt wider, was die Ermittler der Bundeswehr vor Ort in Kundus herausgefunden haben. Militärische Meldungen und Berichte sind sehr oft mit Kürzeln und sogenannten Code-Namen versehen, damit ein Außenstehender sie nicht entschlüsseln kann. (Für den interessierten Leser findet sich im Anhang der
Weitere Kostenlose Bücher