Schwarzbuch Bundeswehr - Überfordert, demoralisiert, im Stich gelassen -
oder sich gar mit Zwischenlösungen zufriedenzugeben, bis endlich das fehlerfreie Produkt geliefert werden kann, wenn dadurch weiterhin Menschenleben aufs Spiel gesetzt werden müssen. Fazit: Lieber Fehlinvestitionen als Gefährdung von Soldaten.
Waren diese Nachweise von Versäumnissen durch den van-Heyst-Bericht schon ein Schlag ins Gesicht des Verteidigungsministeriums, so sollte es, was die Führungsfähigkeit der obersten militärischen Leitung anbelangt, noch härter kommen.
»Es ist die feste Überzeugung der Arbeitsgruppe, dass der Gordische Knoten des Bürokratismus nur durchschlagen wird, wenn das Prinzip ›Führen im Auftrag‹ konsequent genutzt und eingehalten wird. Für die oberen Führungsebenen heißt dies, auf unmittelbaren Zugriff für eine umfassende Detailinformation und auf einen direkten Einfluss vor Ort grundsätzlich zu verzichten.«
Ohne Zweifel eine Aufforderung, sich aus dem Tagesgeschäft der Truppe herauszuhalten, statt wie bisher alles dadurch noch schlimmer zu machen, dass mit diesen Einmischungen nicht mehr Effizienz sondern, ganz im Gegenteil, mehr Bürokratie entsteht.
Der ehemalige Verteidigungsminister hatte mit dem Abschlussbericht der van-Heyst - Kommission das genaue Gegenteil von dem erhalten, was er mit ihrer Einsetzung eigentlich bezweckt hatte. War diese Führungskritik aus dem Munde ehemaliger Generäle schon – gelinde gesagt – ein Schuss vor den Bug, so ist die Befürwortung eines Generalstabs so etwas wie das Worst-case -Szenario des van-Heyst-Berichts .
Es wird empfohlen: »Bei Einsätzen im Ausland stets taktische Führungskommandos unter der Führung eines Fachmannes der jeweiligen Teilstreitkraft vorzusehen.« Also die kompetentesten Generäle in einem Stab zusammenzufassen – ein Generalstab eben.
Wir haben hier ein Paradebeispiel dafür, wie ein Minister sich selbst diskreditiert. Hätte der ehemalige Verteidigungsminister Jung vorab die Informationen gehabt, die ihm seine Ex-Generäle im van-Heyst-Bericht offenbaren würden, und die richtigen Schlüsse daraus gezogen, so hätte er diese Kommission mit Sicherheit nicht ins Leben gerufen. Zu Recht mag man an dieser Stelle argumentieren, es sei aber doch gerade Sinn und Zweck einer Kommission, herauszufinden, welche Lösungen für erkannte Probleme am sinnvollsten sind. Ein treffender Einwand – wenn man sich denn auch an die Lösungsvorschläge hält. Doch das tat Verteidigungsminister Jung im Nachgang mitnichten. Ein weiteres Indiz, dass er die Kommission nur berufen hatte, um zu dem von ihm favorisierten Ergebnis zu kommen. Nach Ablieferung des Berichts schien nur noch das Totschlagargument zu helfen, dessen sich deutsche Politik oft bedient, wenn die Entwicklung der Dinge den eigenen Plänen zuwiderläuft und kein Mittel in Sicht ist, die ungeliebte Entwicklung auf elegantere Weise zu stoppen: der Rückgriff auf die braune Vergangenheit.
»Eine solche Institution ist im Hinblick auf die Willfährigkeit der Wehrmacht bei der Planung der Angriffskriege Hitlers ideologisch verbrannt«, erwiderte im Januar 2008 Verteidigungsminister Jung auf die Forderung von Oberst Gertz nach einem Generalstab.
Letztendlich hat dieses Argument den Generalstab verhindert, ja, es hat sogar verhindert, dass seither in politischen und militärischen Kreisen eine solche in sämtlichen Armeen der Welt installierte Führungsebene mit ihren Vor- und Nachteilen überhaupt weiter in Erwägung gezogen, diskutiert und in ihrer Umsetzbarkeit für die Bundeswehr analysiert wurde. Wohl noch nie ist der Begriff »Totschlag-Argument« beispielhafter illustriert worden.
Doch nehmen wir einmal an, Franz Josef Jung hätte die Informationen und Einschätzungen des Berichts haben können, bevor er sich auf die Gründung der Kommission einließ, und diese Informationen wären ihm – vorsätzlich – nicht zugänglich gemacht worden, um ihn politisch zu beschädigen, wer könnte für eine solche Unterschlagung infrage kommen?
6.3 Die im Schatten sieht man nicht
Beim Blick hinter die Kulissen eines Ministeriums fällt nicht selten auf, dass andere Personen das Sagen haben als jene, die für die Öffentlichkeit vorne auf der Bühne stehen. Unter politischen Insidern spricht man natürlich nur hinter vorgehaltener Hand von diesen sogenannten Schattenministern, denn es soll ja niemand wissen, wer bei allen wichtigen Vorhaben des Ministeriums eigentlich die Feder führt.
Nicht anders war es im Verteidigungsministerium, auf jeden Fall
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