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Schwarzbuch Bundeswehr - Überfordert, demoralisiert, im Stich gelassen -

Titel: Schwarzbuch Bundeswehr - Überfordert, demoralisiert, im Stich gelassen - Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C. Bertelsmann
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angesprochen, sagt er immer das Gleiche: »Die geilste Zeit in meinem Leben.« In Berlin gewinnt er sogar neue Freunde, äußert ihnen gegenüber einmal bei einem Abendessen: »Ihr habt es gut, ihr habt euch. Das hatte ich nie.«
    Für den Bundeswehrpsychologen Kröger ist Sebastians Beziehung zu seinen Eltern dessen »Lindenblatt«: »Das verblutende Mädchen in Afghanistan hat ihn an sich selbst erinnert. Plötzlich war er das Kind, das seine Eltern verbluten ließen.«
    Die Freunde sagten zu Sebastian nur: »Wir können für dich da sein, helfen muss dir ein Fachmann.«
    Der ehemalige Kommandeur des Panzergrenadierbataillons 294, in dem Sebastian gedient hat, sagte nur: »Jeder Soldat kann in einer belastenden Situation auf seinen Vorgesetzen, Truppenpsychologen oder Militärseelsorger zugehen.« Sehr viele Bundeswehrvertreter teilen diese Ansicht, gemeint ist, der Soldat müsse sich schon selber melden. Nach Einschätzung der Bundeswehr werden Soldaten im Einsatz und danach »gut betreut«. Diese Nachbetreuung findet in einem drei Tage dauernden Nachbereitungsseminar statt. Während dieses Nachbereitungsseminars sprechen die Soldaten nicht direkt mit Psychologen; dort versucht nur ein Moderator, mit der Gruppe über die Erlebnisse ins Gespräch zu kommen. Oftmals redet nur der Moderator, und die Gruppe hört zu, danach gehen die Soldaten zusammen Bier trinken.
    Ein Freund Sebastians erklärte die Tragödie so:« Der Basti, der wollte erschossen werden.« Sebastians Mutter meinte dazu: »Man kann doch nicht einen so jungen Mann in den Einsatz schicken und mit Waffen hantieren lassen.« Und ein Presseoffizier der Bundeswehr erklärte: »Wir können nichts dafür, wenn ein ausscheidender Soldat nicht für seine Zukunft vorsorgt.«
    Im Jahr 2010 wurden 729 Soldaten mit einer PTBS -Erkrankung und 368 Soldaten mit anderen einsatzbedingten psychischen Erkrankungen bei der Bundeswehr behandelt. Gleichzeitig erhöhte sich die Zahl genehmigter Präventivkuren in 2010 auf 3099. Diese Kuren, die drei Wochen dauern, dienen überlasteten Soldatinnen und Soldaten ohne Anzeichen einer therapiepflichtigen Erkrankung zur Regeneration. Diese wichtige Möglichkeit der Vorbeugung existiert seit 1999. Die Kuren umfassen neben psychotherapeutischen Gruppensitzungen unter anderem auch das Training der psychischen und sozialen Kompetenz sowie Einzelberatungen, Entspannungstherapie, autogenes Training und Ruhe-/Erholungsphasen.
    Von 1995 bis 2010 wurde eine Posttraumatische Belastungsstörung bei 267 Soldatinnen und Soldaten als Wehrdienstbeschädigung anerkannt. 260 Anträge wurden in demselben Zeitraum abgelehnt. Es wurde also nur jeder zweite Fall anerkannt. Die Zahl der Behandlungsfälle stieg im vergangenen Jahr um ein Vielfaches an. Allein im Zeitraum Januar bis November 2010 wurden bereits 655 Soldatinnen und Soldaten in Bundeswehrkrankenhäusern wegen PTBS therapiert. Nach Angaben des Verteidigungsministeriums dauert es im Schnitt fünfzehn Monate, bis ein Trauma von der Bundeswehr offiziell anerkannt wird. Das zentrale Hindernis bei der Anerkennung ist, dass der schädigende Sachverhalt vom Antragsteller selbst nachgewiesen werden muss. Oftmals gestaltet sich der Nachweis des traumatisierenden Ereignisses jedoch als sehr schwierig. Denn wenn zum Beispiel ein Attentat oder ein Beschuss nicht aktenkundig ist, muss eine fachärztliche Untersuchung durchgeführt werden. Und genau dies nimmt wegen des hohen Personalmangels bei den Bundeswehrpsychologen sehr viel Zeit in Anspruch. Weiter erschwert wird die Situation für die Betroffenen, wenn aufgrund des Personalmangels Gutachter von außen hinzugezogen werden. Diese Gutachter sind oftmals überhaupt nicht in der Lage, die Situation eines Soldaten zu beurteilen, da sie sich nicht im Entferntesten jene Gräueltaten vorstellen können, die zu begutachtende Soldatinnen und Soldaten miterlebt haben.
    Der verteidigungspolitische Sprecher der SPD -Bundestagsfraktion, Rainer Arnold, äußerte mit Blick auf diese überaus zähe Anerkennungsprozedur laute Kritik: »Die Bearbeitungszeit ist schon lange inakzeptabel.« Darüber hinaus habe er »die Sorge, dass zuungunsten der Antragssteller gerichtet wird, obwohl es eigentlich umgekehrt sein müsste: im Zweifel zugunsten der Antragsteller«. Nach seiner Ansicht sei hier eine teilweise schon »reflexhafte Bürokratie« am Werke, einzig und allein darauf getrimmt, die finanziellen Interessen der Bundeswehr zu vertreten.
    Andreas

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