Schwarzbuch Bundeswehr - Überfordert, demoralisiert, im Stich gelassen -
Hause zurück. Wenn das nicht erkannt und richtig behandelt wird, können Tragödien wie diese passieren.« Posttraumatische Belastungsstörung, kurz PTBS , wird das Leiden genannt. Typische Symptome sind: Schlafstörungen, emotionale Kälte, Konzentrationsschwäche, Depressionen, Aggressionen gegen sich und andere.
Kröger fügte hinzu: »Traumatische Reaktionen zu haben und zu zeigen, ist normal. Wer das nicht tut, ist ein emotionaler Vollidiot und schädigt sich nur selbst.«
Wie konnte es bei Sebastian so weit kommen?
Seine Eltern trennten sich, und bereits mit siebzehn verpflichtete er sich mit Einwilligung der Mutter bei der Bundeswehr. Wie bei vielen jungen Männern, gerade aus dem Osten Deutschlands, lockten das Geld und die Sicherheit. Was die Bundeswehr damals nach dem tragischen Ereignis in Berlin nicht erwähnte, war die Tatsache, dass Sebastian schon vor seinem Einsatz in Afghanistan auffällig gewesen war. Er hatte im Suff das Auto eines Kameraden zu Schrott gefahren und wurde wegen Alkoholmissbrauchs und Fahrens ohne Führerschein polizeilich verwarnt.
Die Presseoffiziere der Bundeswehr betonten immer wieder nur den altbekannten Satz: Es werde nur »geeignetes Personal« ins Ausland geschickt. Aber in Wahrheit wurden schon damals die Soldaten immer jünger, und nicht wenige hatten eine fragwürdige Vorgeschichte.
Die Bundeswehr stellt dazu klar, es gebe »keine formalen Kriterien bei der Beurteilung der Persönlichkeit. Wir prüfen immer den Einzelfall. Auch im Fall Sebastian H. war diese Entscheidung offenbar richtig, denn er hat seine Sache im Einsatz gut gemacht«.
Richtig ist, dass Sebastians Verhalten in Kabul tadellos war. Doch als er zurück in seine Heimatkaserne nach Baden-Württemberg kommt, nimmt die Katastrophe ihren Lauf. Er schläft häufig schlecht, hat Albträume, muss immer wieder an das schwer verletzte Mädchen denken. Die Kameraden wissen keinen besseren Rat als: »Komm, trink noch ein Bier.«
Alles scheinbar keine große Sache – bis zu seinem ersten Selbstmordversuch. Er schneidet sich die Pulsadern auf und kommt ins Bundeswehrkrankenhaus nach Berlin. Dort sagen ihm die Ärzte, seine Beschwerden hätten nichts mit seinem Einsatz, sondern mit seinem Elternhaus zu tun.
Um PTBS auszulösen, reicht manchmal ein einziges Ereignis aus. Es kann die Erfahrung von Gewalt sein oder unmittelbare Todesangst. Kommen dann noch seelische Wunden aus dem früheren Leben oder andere Begleitumstände dazu, wird das Krankheitsrisiko extrem verstärkt. Erst recht, wenn der Soldat selbst fast noch ein Jugendlicher ist. US -Studien haben ergeben, dass junge Soldaten fünfmal häufiger erkranken als ältere.
Der schon erwähnte Chefpsychologe der Bundeswehr Kröger erklärt, dass diese seelische Störung in der Fachliteratur auch »Siegfriedphänomen« genannt wird. Jeder Mensch hat – dem Lindenblatt des Nibelungenhelden vergleichbar – einen wunden Punkt. Kröger betont, dass man fast alle an PTBS Erkrankten heilen könne – wenn die Krankheit frühzeitig diagnostiziert wird. Doch für diese Diagnose fehlte der Bundeswehr schon in Sebastians Fall das Personal.
Ende Juni 2006 endete seine Dienstzeit. Er bekam von der Bundeswehr 5000 Euro Abfindung plus Übergangsgeld. Zu diesem Zeitpunkt war gerade Fußballweltmeisterschaft, und Sebastian, der als gutgläubig bekannt war, brachte bis zum Finale mit angeblichen Freunden das gesamte Geld durch. Dann fiel er in ein tiefes Loch – kein Geld, kein Job und die Freunde ebenfalls weg. Er hatte keinen festen Wohnsitz mehr, übernachtete bei wechselnden Bekannten, manchmal auch unter freiem Himmel. Als ihn am 9. Januar 2007 die Polizei in Hennigsdorf bei Berlin total unterkühlt am Ufer eines Kanals findet, hat er sich gerade wieder einmal die Pulsadern aufgeschnitten. Doch jetzt ist er Zivilist und kommt daher in die psychiatrische Abteilung der örtlichen Klinik, ihm wird ein amtlicher Betreuer zugewiesen. Dieser hatte nach Sebastians Entlassung aus dem Krankenhaus die Aufgabe, ihn bei Behördengängen und in Geldangelegenheiten zu unterstützen; nach seiner Aussage konnte er keine schwerwiegenden Verhaltensstörungen feststellen. Doch Sebastian zieht es in die Großstadt zurück. In Berlin lebt er von 700 Euro Arbeitslosengeld, denn das bekommt er als Ex-Soldat. Er kommt in einer Obdachlosenunterkunft unter und wird dort als sehr schweigsam und stets sauber charakterisiert, als eine Person, die niemals Ärger macht.
Auf die Bundeswehr
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