Schwarzbuch Bundeswehr - Überfordert, demoralisiert, im Stich gelassen -
fragen, ob sie nicht vielleicht ihren Beruf verfehlt haben; doch – das zeigt die Analyse solchen Verhaltens in größeren Zusammenhängen – derartige Führungsfehler kommen vor allem bei Personen vor, die nicht erlebt haben, was die ihnen unterstellten Soldaten tagtäglich über sich ergehen lassen müssen, will sagen, diese Führer sind meist ohne Einsatzerfahrung, direkt aus dem Ausbildungskurs und ausgestattet mit menschenverachtenden Charakterzügen.
In Zukunft könnte noch ein weiterer Grund für fehlerhaftes Führungsverhalten dazukommen: die Nachwuchsgewinnung. Dazu mehr im Kapitel 7, das sich mit dem Personal der Bundeswehr beschäftigt; zurückverwiesen sei noch auf Kapitel 3 und Kapitel 5, dort finden sich weitere Beispiele zum falschen Führungsverhalten und dessen Ursachen.
Das Schlusswort soll ein Zitat aus dem Bericht des ehemaligen Wehrbeauftragten liefern, der wiederum die Aussage eines Bataillonskommandeurs zitiert: »… unerfahrene Ausbilder müssen erst lernen, mit der ihnen übertragenen Machtfülle vernünftig umzugehen … gerügt wird die fachliche Inkompetenz einzelner Ausbilder und die Neigung insbesondere junger Offiziersanwärter, ihre Unfähigkeit und Unerfahrenheit durch flotte Sprüche und überzogene Härte, aber auch durch ungerechtes Verhalten und Beleidigungen zu überspielen.«
Wer sich mit dem Führungsverhalten bei der Bundeswehr beschäftigt, den wird diese Kritik nicht wundern. »Der Fisch stinkt immer vom Kopf her«, sagt der Volksmund – und wo Schattenminister, Geheimgruppen, Informationsmanipulationen und Führungsverhalten nach Gutsherrenart keine Ausnahme sind, trifft diese Aussage zweifellos einen wesentlichen Kern. Eine Armee, die zum Schutz eines demokratischen Gemeinwesens eingerichtet wurde, in dem Meinungsfreiheit, Freiheit des Wortes und freier Gedankenaustausch zu den höchsten Gütern gehören, sollte nicht aus dem Zwielicht der Hinterzimmer heraus regiert werden. Eine diesen Idealen verpflichtete Armee kann keine abweichende Rolle spielen, sie muss transparent, ehrlich und fair agieren. Wo vertuscht und falsch informiert wird, fällt ein Schatten auf die Bundeswehr, ein Schatten des Misstrauens gegenüber dieser Institution, die sich über festgelegte Abmachungen, die freiheitlich-demokratische Grundordnung und bisweilen über bestehende Gesetzte hinwegsetzen zu können meint. Eine Armee aber, die ihre Pläne und Probleme zur Diskussion stellt, um die jeweils besten Lösungen herauszufinden, wird sich ganz anders in die Gesellschaft integrieren, als wir das heute erleben. Ein wenig mehr an Glasnost und Perestroika täte unseren Streitkräften zweifellos gut. Ausgehen kann eine solche Entwicklung nur von oben‚ beginnend bei den politischen Entscheidungsträgern und den führenden Militärs.
7. Die Bundeswehr und ihre Soldaten
Wer kämpft da eigentlich?
Das letzte Kapitel zeigte, wie mangelhafte Auswahl und Ausbildung, fehlende Einsatz- und Lebenserfahrung des Führungspersonals – und nicht selten dessen charakterliche Defizite – die Ursachen gravierender Führungsfehler sind, die wiederum der einfache Soldat, als letztes Glied der Befehlskette, auszuhalten und auch auszubaden hat. Was diese Soldaten über sich ergehen lassen müssen – oft in der hochgefährlichen Situation eines Kriegseinsatzes – zieht psychische, bisweilen psychosomatische Reaktionen nach sich, die Thema dieses Kapitels sind.
Wie geht man als Soldat mit dieser Gemengelage um? Wie wirkt sich ein Alltag unter solchen Bedingungen auf das Selbstwertgefühl, auf die Rechtfertigung des eigenen Tuns aus? In diesem Punkt zeigen Soldaten trotz ihrer wesentlich gefährlicheren Lebenssituation im Vergleich zum Alltagsleben im Frieden keine ungewöhnlichen Reaktionsmuster: Sie leiden an mangelndem Selbstwertgefühl und fehlender Wertschätzung durch andere bis hin zu daraus resultierenden Erkrankungen – oder sie kompensieren die Mängel durch ein übersteigertes Selbstwertgefühl bis hin zu Rücksichtslosigkeit, Heldenwahn und Führerkult. Oder sie verdrängen und arrangieren sich mit einer als ungenügend empfundenen Situation, anstatt gegen sie aufzubegehren und so den inneren Konflikt für eine Veränderung zu nutzen.
7.1 Hehre Ziele: Wölfe und Schafe
Psychische und psychosomatische Erkrankungen treten in der Bundeswehr und nach Dienstende überdurchschnittlich häufig auf. Studien gehen davon aus, dass beispielsweise Depressionen und Autoimmunkrankheiten, um je
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