Schwarzbuch Bundeswehr - Überfordert, demoralisiert, im Stich gelassen -
ein Beispiel aus dem psychischen und psychosomatischen Bereich zu nehmen, bei Bundeswehrangehörigen und Ex-Soldaten häufiger vorkommen als in der Normalbevölkerung. Ohne Zweifel ist diese Tatsache einem Kriegseinsatz und den dabei erlebten Gräueln und Gewalttaten geschuldet; allerdings kommen weitere Faktoren hinzu, die das Ausbrechen solcher Erkrankungen begünstigen, wenn nicht gar auslösen.
Mangelnde Selbstachtung und Wertschätzung
haben den Boden meist schon bereitet, auf dem dann die Saat einer Katastrophe von außen erst gedeihen kann. Natürlich gibt es auch im Zivilleben schicksalhafte Einschnitte wie Scheidung, plötzliche Todesfälle in der Familie oder sozialen Absturz, die die seelische Gesundheit des Einzelnen aus dem Gleichgewicht bringen können; doch bei der Bundeswehr und speziell bei einem Kriegseinsatz sind solche Wendepunkte tagtäglich im Bereich des Möglichen und keine unerwarteten Schicksalsschläge. Gerade jene Soldaten, die besonders darunter leiden, dass ihr Einsatz nicht gewürdigt wird, dass Zweifel am eigenen Tun stets präsent sind und sie Rechtfertigungsprobleme quälen, sind einem permanenten Mangel an Selbstachtung ausgesetzt. Diese Empfindungen tragen den Keim einer seelischen Krankheit bereits in sich, bevor ein äußeres Ereignis sie tatsächlich akut auslöst. Tiefe innere Konflikte in Kombination mit einem Leben inmitten von Grausamkeit bilden den hochgefährlichen Nährboden für psychische Zusammenbrüche.
Am deutlichsten kann dies an einem Krankheitsbild veranschaulicht werden, das seit dem Afghanistan-Einsatz immer wieder anhand spektakulärer Fälle durch die Presse geht: dem Posttraumatischen Belastungsstörung, kurz PTBS genannt. Die PTBS -Problematik muss in einem Schwarzbuch Bundeswehr angesprochen werden, nicht nur, weil die seelische Gesundheit von Soldaten im Dienst beeinträchtigt wurde – das lässt sich bei einem so gefährlichen Job gar nicht vermeiden –, sondern auch, weil die Bundeswehr nach einen Ausbruch von PTBS die Geschädigten vielfach allein und ohne Therapiemöglichkeiten lässt. Das Problem wird seit vielen Jahren einfach unter den Tisch gekehrt (Näheres dazu in Kapitel 5). Verschärft wird die Situation dadurch, und dies ist von entscheidender Bedeutung, dass das volle Krankheitsbild in den meisten Fällen erst nach dem Ausscheiden aus der Bundeswehr ausbricht. Also werden sowohl die Therapiekosten als auch der gesamte Schaden, den die Erkrankten in der Zivilgesellschaft verursachen, der Allgemeinheit aufgebürdet, obwohl beides Folgekosten einer in der Bundeswehr erworbenen Krankheit sind.
In der Nacht zum 9. August 2007 ereignete sich in Berlin-Neukölln ein Zwischenfall, der die Öffentlichkeit kurzzeitig aufhorchen ließ und das Posttraumatische Belastungsstörung von Soldaten, die aus dem Auslandseinsatz der Bundeswehr zurückkehren und in der Heimat nicht mehr zurechtkommen, zum Thema machte.
Der damals zweiundzwanzigjährige Sebastian H. hatte wie viele Soldaten seine Erlebnisse in Afghanistan nicht verkraftet. Sebastian hatte vier Jahre gedient und war von Juli 2003 bis Januar 2004 in Kabul im Afghanistan-Einsatz.
Ein Freund von ihm meinte: »Was er da erlebt hat, hat er psychisch nie verarbeitet.« Ihm gegenüber hatte Sebastian immer wieder geäußert: »In Kabul ist ein Kind in meinen Armen verblutet.« Dieses Kind sei auf eine Mine getreten und vor dem deutschen Feldlager abgelegt worden. Das ist durchaus gängige Praxis in Afghanistan, denn es hat sich herumgesprochen, dass bei den Deutschen die für afghanische Verhältnisse beste Medizin zu haben ist.
In jener Nacht zum 9. August 2007 endete ein tragischer Krankheitsverlauf, der von der Bundeswehr schon wesentlich früher hätte erkannt werden müssen. Nach einem seelischen Martyrium und mehreren Selbstmordversuchen, begleitet vom Absinken in die Obdachlosigkeit, überfiel Sebastian in dieser Nacht einen Mann, raubte ihm ein leeres Portemonnaie und eine halbe Schachtel Zigaretten. Die Polizei war schnell auf seiner Fährte. Die Beamten riefen ihm zu, stehen zu bleiben, der junge Mann drehte sich um und hatte eine defekte Gaspistole in der Hand. Daraufhin feuerten die Polizisten, trafen ihn in Arm und Brust. Er war auf der Stelle tot. Freunde meinten später, Sebastian wollte erschossen werden.
Der ehemalige Chefpsychologe des Bundeswehrkrankenhauses in Berlin, Norbert Kröger, sagte dazu: »Jedes Jahr kommen Dutzende deutscher Soldaten mit einer kranken Seele nach
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