Schwarzbuch Bundeswehr - Überfordert, demoralisiert, im Stich gelassen -
Timmermann-Levanas, Vorsitzender des Bundes deutscher Veteranen, äußerte sich dazu genauso unmissverständlich. Zumindest unter dem alten Verteidigungsminister, Franz Josef Jung ( CDU ), habe die Devise geherrscht: »Wir sind nicht im Krieg. Und wenn wir nicht im Krieg sind, kann es auch keine Traumatisierungen geben.« Da sich die Krankheit, so Timmermann-Levanas weiter, oft erst dann einstelle, wenn die Soldaten die Bundeswehr bereits verlassen hätten, stünden sie ohne Anerkennung ihrer Berufskrankheit häufig vor dem finanziellen Ruin und dem damit einhergehenden sozialen Abstieg.
Bei Sebastian endete dieser persönliche und soziale Abstieg mit dem Tod durch Erschießen.
Im Unterschied zur Bundeswehr wird Polizeibeamten, die geschossen haben, sofort das zur Verfügung gestellt, was Sebastian dringend gebraucht hätte: eine intensive mehrwöchige Betreuung. Bei Polizeibeamten fürchtet man eine Posttraumatische Belastungsstörung, bei Soldaten anscheinend weniger.
Zumindest gegen das schon besprochene Fürsorgegesetz wurde im Fall von Sebastian erheblich verstoßen. Denn wir erinnern uns, Fürsorgepflicht gilt auch »nach der Dienstzeit«.
Für betroffene Soldaten spielt es natürlich erst einmal keine Rolle, ob ihre psychischen und psychosomatischen Leiden durch ein Ereignis während ihres Kriegseinsatzes ausgelöst wurden. Für sie spielt auch keine Rolle, ob die wahre Ursache tiefer liegt und solche Krankheiten erst auf dem Nährboden einer bereits vorher existierenden psychischen Instabilität, etwa Problemen mit mangelndem Selbstwertgefühl, gedeihen können. Mit der Selbstachtung der Soldaten steht es eben vielfach nicht zum Besten, wie sollte es auch, bei dermaßen geringer Anerkennung und fehlender Unterstützung, die ihnen vonseiten Bevölkerung, Medien und politischer Öffentlichkeit entgegengebracht werden. So könnte man mit gewisser Berechtigung folgende Ursachenkette für jene Soldaten formulieren: Probleme mit dem Selbstwertgefühl – mangelnde Selbstachtung – Selbstzweifel – Depressionen – Traumatisierungen – psychosomatische Krankheiten – PTBS .
Ein anderer Teil der Soldaten wiederum, die Minderheit, das muss betont werden, reagieren nicht mit Selbstzweifeln, Minderwertigkeitsgefühlen oder gar Mangel an Selbstachtung; im Gegenteil: Sie überschätzen sich, sie fühlen sich als etwas Besseres im Vergleich zu denen, die nicht ihrer Gruppe angehören. Doch letztendlich kompensieren auch sie nur Minderwertigkeitsgefühle durch eine demonstrativ zur Schau gestellte Überheblichkeit – mit nicht weniger gravierenden Folgen für die psychische Gesundheit und das soziale Umfeld.
Selbstüberschätzung und Herrenmentalität
Wie mangelnde Selbstachtung ist auch die übersteigerte Ichbezogenheit lediglich ein anderes Reaktionsmuster auf die gleiche psychische Grundsituation: Der Betroffene ist nicht in der Lage, dem fehlenden Respekt von anderen, von außen, von denen, die das Sagen haben, etwas entgegenzusetzen; er kann weder innere Stärke noch Selbstbewusstsein mobilisieren, was speziell bei einem Kriegseinsatz das Leben als Soldat erträglicher machen und die eigenen Handlungen gerechtfertigt erscheinen lassen könnte.
In einer Welt, die durch Hierarchien strukturiert ist und in der es fast etwas Heiliges zu sein scheint, wenn man in die nächsthöhere Ebene aufgenommen wird, funktioniert das Prinzip von Führern und Geführten, von Befehl und Gehorsam nach dem immer gleichen Muster: Der Selbstwert steigt allein dadurch, dass man den vermeintlich »besseren Kreisen« angehört; dabei zu sein reicht als Ziel, dazuzugehören als Motivation. Weder wird die Frage nach dem Sinn gestellt, – warum sind Aufstieg und Dazugehören eigentlich per se erstrebenswert? –, noch werden Zweifel zugelassen an Werten und Normen, die man mit den neuen Freunden und Kameraden wird hochhalten müssen, – und schon gar nicht an Initiationsritualen, die einem zugemutet werden, nur um auf der Hierarchieleiter eine Sprosse höher zu dürfen.
Auf genau dieser Grundlage gedeihen jene »Ekelrituale«, von denen die Presse in Abständen zu berichten weiß, ohne dass in den Artikeln auf die psychologischen Grundkonstanten eingegangen würde, die solche Rituale erst möglich machen und die dazu führen, dass »normale« Menschen diese willentlich und widerspruchslos über sich ergehen lassen.
Da gibt es beispielsweise die Überreichungszeremonie des bordeauxfarbenen Fallschirmjägerbaretts, das man
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