Schwarzbuch Kirche - Und führe uns nicht in Versuchung
zufällig eines aus dem anderen entwickelt, aus einfachen Formen seien immer komplexere geworden, und auch der Mensch sei das natürliche Ergebnis dieser Evolution. In der stark verkürzten Form »Der Mensch stammt vom Affen ab« wurde Darwins Erkenntnis populär. Damit war die bisher ganz allgemein vertretene Ansicht vom historischen Wahrheitsgehalt der biblischen Schöpfungsgeschichte auf einmal hinfällig geworden. Infrage stand aber nicht nur die Wahrheit der Bibel, sondern die zentrale christliche Lehre von der Erbsünde, da ja auch die Geschichte von Adam und Eva und dem Apfel nicht mit Darwins Lehre zusammenpasste – jedenfalls nicht, wenn man sie wörtlich nahm. Doch den naheliegenden Ausweg, nämlich die biblischen Geschichten nicht als naturwissenschaftliche oder historische Wahrheit zu interpretieren, wählte die Kirche erst hundert Jahre später.
Zunächst war die Kirche der Auffassung, Darwin widerspreche ganz einfach der Heiligen Schrift und müsse deshalb Unrecht haben. In der in langen Jahrhunderten geprägten Selbstgewissheit wurde die Evolutionstheorie kirchenamtlich verworfen, das Erste Vatikanische Konzil ( 1869 / 70 ) erklärte: »Wer nicht bekennt, dass die Welt und alles, was in ihr enthalten ist, alles Geistige und alles Materielle, in seiner ganzen Substanz von Gott aus dem Nichts geschaffen wurde, […] der sei ausgestoßen aus der Kirche!« Die immer noch statische Auffassung der Kirche hinsichtlich der Welterkenntnis wurde zementiert mit dem Satz: »Wer annimmt, die Lehrsätze der Kirche könnten zukünftig nach dem Fortschritt der Wissenschaften einen anderen Sinn bekommen, als denjenigen, den die Kirche darunter verstanden hat oder versteht, der sei ausgestoßen aus der Kirche!« Mit diesem unklugen Schnellschuss gegen Darwins Theorie erreichte die Kirche natürlich nichts. Im Gegenteil, das Verhältnis zwischen Kirche und moderner Naturwissenschaft und vielen naturwissenschaftlich gebildeten Menschen wurde auf die Zeitdauer etlicher Generationen hinaus belastet.
Und mit denjenigen, die der Kirche nahestanden und vorsichtig versuchten, sie in die richtige Richtung zu bewegen, ging sie schlecht um. Dies traf vor allem den Jesuiten Pierre Teilhard de Chardin, der als Paläontologe in den 1920 er-Jahren in China zu den Entdeckern des »Peking-Menschen« gehörte, eines Vorläufers des Neandertalers. Teilhard bemühte sich, seine wissenschaftlichen Erkenntnisse mit der Theologie zu versöhnen, und lehrte, dass Gott die Welt nicht festgefügt, sondern als kreative Bewegung geschaffen habe, die noch nicht abgeschlossen sei. Doch solche innovativen Ideen stießen auf den Widerstand des Heiligen Offiziums, der heutigen Glaubenskongregation. Teilhard wurde von seinem Pariser Lehrstuhl am Institut Catholique entfernt und es wurde ihm verboten, Bücher über seine Ideen zu publizieren. Auf Geheiß seines Ordens musste er 1951 sogar Frankreich verlassen und in die Vereinigten Staaten gehen. Als treuer Jesuit hielt sich Teilhard an das Verbot, erst nach seinem Tod im Jahre 1955 wurden seine Werke publiziert und erreichten schnell Millionenauflagen. Papst Pius XII . ( 1939 – 1958 ) sprach der Evolutionstheorie zwar nicht jeden wissenschaftlichen Wert ab, was die Entstehung des menschlichen Leibes – jedoch nicht der Seele – anbetraf, er beharrte aber darauf, dass alle Menschen von ein und demselben Menschenpaar abstammen müssten.
Erst in neuester Zeit hat die Kirche auch diesen Punkt fallen gelassen, nachdem sie die »Erbsünde« nicht mehr als durch den Zeugungsakt vermittelt ansieht, sondern als schuldlose Verstrickung des Einzelnen in die von der Menschheit insgesamt geschaffene sündhafte Struktur versteht. In den letzten Jahren herrschte allgemein der Eindruck vor, die Kirche habe ihren Frieden mit der Evolutionstheorie gemacht. Doch einige Erklärungen in jüngster Zeit weckten erneut Zweifel. Es begann damit, dass der Wiener Kardinal Schönborn 2005 einen Artikel veröffentlichte, in dem er die Auffassung ablehnte, bei der Evolution handele es sich um einen Prozess ohne Ziel und Zweck. Damit hatte er die naturwissenschaftliche Theorie wieder mit einem theologischen Aspekt verknüpft. Benedikt XVI . unterstützte Schönborns Aussage mit dem Satz, es gebe einen »intelligenten Plan« des Kosmos. Nun kann man das als theologische Aussage stehen lassen – aber vor dem Hintergrund der damaligen öffentlichen Diskussion wäre eine Klarstellung wünschenswert gewesen, dass mit dieser
Weitere Kostenlose Bücher