Schwarzbuch Kirche - Und führe uns nicht in Versuchung
Formulierung keine Stellungnahme zugunsten der von ultrakonservativen Evangelikalen vertretenen »Schöpfungslehre« beabsichtigt war. Aber vielleicht ging es den beiden Kirchenmännern in Wirklichkeit nur um eine vorsichtige Rehabilitation der Ideen Teilhard de Chardins, es könnte ja sein.
Die zunächst theoretische Frage, ob sich die Schöpfung noch entwickelt oder ob sie ein für alle Mal zu einem bestimmten historischen Zeitpunkt »perfekt« war, gewinnt sofort an Spannung, wenn man die Auswirkungen der Antworten darauf auf die Moraltheologie betrachtet. Denn wenn die Schöpfung – und mit ihr der Mensch – statisch, also endgültig festgelegt ist, gilt dies natürlich auch für die Regeln, die in der Bibel oder von der jungen Kirche für das menschliche Zusammenleben gegeben wurden. Sind die Dinge dagegen im Fluss, dann unterliegen auch moralische Regeln grundsätzlich dem Wandel, können und müssen von Zeit zu Zeit überprüft und möglicherweise neu formuliert werden. Jedenfalls hat die Interpretation moralischer Regeln im Hinblick auf neu auftretende Entwicklungen dieses Problem zu beachten, denn davon hängt ab, wie viel Spielraum die Interpretation oder die Anpassung der Regel besitzt. So sollte man jedenfalls meinen.
Doch diese Konsequenz ist der Kirche bisher nach wie vor fremd, und gerade in den Bereichen, in denen gesellschaftliche und medizinische Veränderungen von bedeutendem Ausmaß eintraten, nämlich Ehe, Familie und Sexualität, Bereichen also, die das Leben jedes Menschen sehr unmittelbar berühren, hält die Kirche rigoros an ihren traditionellen Lehren fest. Das beginnt beim Grundsatz der Unauflöslichkeit der Ehe. Bis in das 19 . Jahrhundert hinein besaß die Kirche das Monopol der Eheschließung – und damit war das Problem der Scheidung praktisch nicht existent. Erst als der Staat die Zivilehe eingeführt und diese für maßgeblich erklärt hatte, eröffnete sich die Möglichkeit, eine Ehe auch scheiden zu lassen. Eine Scheidung erkennt die Kirche jedoch nicht an, sodass jemand, der als Geschiedener nochmals heiratet, aus Sicht der Kirche »in Sünde« mit dem neuen Partner zusammenlebt. Das hat durchaus Konsequenzen, die man als gläubiger Katholik, der in seiner Kirchengemeinde leben und an ihr teilhaben will, auch nicht einfach so ignorieren kann: Man wird dann nämlich häufig vom Empfang der Sakramente ausgeschlossen. Noch schlimmer ist es, wenn der Geschiedene bei einem kirchlichen Arbeitgeber beschäftigt ist. Ein solcher Verstoß gegen die Sittenlehre der Kirche kann eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses nach sich ziehen. Theoretisch besteht die Möglichkeit, die alte Ehe auch kirchlich für ungültig erklären zu lassen, aber dieser Versuch würde in vielen Fällen scheitern und setzt langwierige und kostspielige Verfahren vor kirchlichen Ehegerichten voraus. Sonst bleibt dem Kirchenmitglied, um in Übereinstimmung mit der Kirche zu leben, nur der Weg, nach einer Scheidung auf eine neue Partnerschaft zu verzichten.
Genauso grundsatzfest zeigt sich die Kirche in puncto Sexualität. Diese ist nur innerhalb einer gültigen Ehe erlaubt und auch nur dann, wenn sie ohne Verhütungsmittel erfolgt. Von den Verhütungsmethoden wird nur die Methode der gezielten Vermeidung empfängniskritischer Zeiten gestattet – was eigentlich inkonsequent ist, denn es macht doch keinen Unterschied, ob die Entstehung eines Kindes mit dem Kalender oder einem anderen Mittel verhindert werden soll. Schon 1955 verbot Pius XII . in einem Schreiben an US -Bischöfe den Gebrauch des Diaphragmas, und trotz der Öffnung der Kirche in vielen Punkten infolge des Zweiten Vatikanischen Konzils erfolgte am 25 . Juli 1968 mit der Enzyklika Humanae Vitae durch Papst Paul VI . ein vollkommenes Verbot jedweder künstlicher Mittel zur Empfängnisverhütung. Die Kardinalskommission, die die Frage seit dem Zweiten Vaticanum zu beraten hatte, war mit übergroßer Mehrheit zwar zum genau entgegengesetzten Ergebnis gekommen, doch eine Minderheit von fünf Kardinälen, angeführt von Kardinal Ottaviani und unter Beteiligung von Kardinal Wojtyla, damals Erzbischof von Krakau, setzte sich durch.
Diese Enzyklika erschütterte die Kirche, weil sie in unerwartet harscher Weise in das Leben katholischer Eheleute eingriff. Im Ergebnis hatte Paul VI . seither den Spitznamen »Pillen-Paul« zu tragen, die deutschen Bischöfe versuchten, mit ihrer Königsteiner Erklärung das römische Lehrschreiben etwas abzumildern, und
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