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Schwarzbuch Kirche - Und führe uns nicht in Versuchung

Titel: Schwarzbuch Kirche - Und führe uns nicht in Versuchung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
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Produktionsweisen, der Verkehrsmittel und der gesellschaftlichen Einrichtungen voranschritt, und zwar so schnell, dass diese Entwicklung erstmals im Leben der Menschen eine wichtige Rolle einnahm. Plötzlich tauchte der Entwicklungsgedanke wie von selbst beinahe überall auf und veränderte die Sicht auf die Welt. Der Entwicklungsgedanke prägte im Lauf des 19 . Jahrhunderts Hegels Philosophie, Darwins Evolutionstheorie und Marx’ Gesellschaftskritik. Gründlich mit diesen Theorien befasst haben sich nur die wenigsten Menschen, die meisten bekamen davon nur über die Zeitungen eine ganz ungefähre Ahnung. Das änderte jedoch nichts daran, dass aus Sicht vieler Leute diese neuen Lehren richtig schienen; die ständige Weiterentwicklung entsprach ja der Alltagserfahrung. Eine Theorie, die die Entwicklung der Dinge postulierte, musste also wahr sein. Und damit hatte die Kirche, die sich selbst als Institution und ihr Lehrgebäude als festgefügt und unveränderlich sah und auch so darstellte, ein Problem.
     
     

Zurück in die Vergangenheit
     
    Natürlich sah die Kirche all dem nicht tatenlos zu. Aber sie wählte zu ihrer Verteidigung die falsche Strategie und griff einfach auf ihre Erfahrungen aus ihrer jahrhundertealten Geschichte zurück. Nach Französischer Revolution und napoleonischen Kriegen sah sie sich nach Bundesgenossen um und fand sie in den alten katholischen Herrscherdynastien, den Habsburgern vor allem, die auch gerade glaubten, nach dem Wiener Kongress von 1815 den revolutionären Ideen ein für alle Mal den Boden entzogen zu haben: durch Zensur und andere bewährte Zwangsmaßnahmen der Vergangenheit. Pius VII . ( 1800 – 1823 ) – im Exil in Venedig zum Papst gewählt, weil die französischen Truppen in Rom standen, dann gefangen gesetzt, als der Kirchenstaat 1806 komplett annektiert wurde – schlug sich nach dem Sturz Napoleons auf die Seite der Restauration. Zwar konnte er die Wiederherstellung des Kirchenstaates durchsetzen, er erkannte aber nicht, dass die Zeit der weltlichen Herrschaft Roms ablief, und der Staat der Päpste ein halbes Jahrhundert später endgültig untergehen würde. Wie frühere Päpste gegen vermeintliche Irrlehren focht Pius VII . gegen die »Aufklärung«, die Ideenwelt des 17 . und 18 . Jahrhunderts, die er für den Umsturz in Europa nach der Französischen Revolution verantwortlich machte. Dazu schien ihm die Wiederherstellung des Jesuitenordens eine richtige Maßnahme; er sollte wie schon einmal in der Gegenreformation durch Schulen und Universitäten die akademische Jugend von falschen Ideen abbringen.
    Der nächste Papst Leo XII . ( 1823 – 1829 ) war ein besonderer Hardliner. Er focht gegen »Tolerantismus« und »Indifferentismus«, darunter verstand er die Auffassung, dass jeder Mensch die Freiheit zur freien Glaubenswahl habe. Gefährlich fand die Kirche die Tätigkeit evangelischer Bibelgesellschaften, die preiswerte Ausgaben der Heiligen Schrift für das Volk in der jeweiligen Muttersprache anboten. Die Gläubigen sollten die Bibel nicht unbegleitet von kirchlicher Autorität lesen, um »Irrtümer« zu vermeiden – wir begegneten dieser Haltung bereits im Zusammenhang mit der Waldenserverfolgung. Zusätzlich störte sich die Kirche daran, dass diese Bibelübersetzungen nicht den von der Kirche autorisierten Text zugrunde legten.
    In das gleiche Horn stieß Papst Gregor XVI . ( 1831 – 1846 ), ein Freund des reaktionären österreichischen Kanzlers Metternich. Gregor XVI . erweiterte den Katalog der zu bekämpfenden Ideen noch um »Naturalismus«, Rationalismus« und »Liberalismus«. Gewissensfreiheit und Meinungsfreiheit lehnte er strikt ab. 1832 fasste er seine Einschätzung moderner Ideen in einem Lehrschreiben zusammen, das in starken Worten die Feinde der Kirche benennt. Darin heißt es etwa: »Aus dieser modrigen Quelle der Gleichgültigkeit, die den Glauben betrifft, fließt jene törichte und falsche Ansicht, die man besser als Wahnsinn bezeichnet, für jeden die Gewissensfreiheit zu fordern und zu verteidigen.« Gegen die Feinde der Kirche muss nach Auffassung des Papstes so vorgegangen werden, wie es sich in der Vergangenheit bewährt hatte: »Unter dem Vorwand der Freiheit […] verschworen sich die schändlichen Verrücktheiten und Machenschaften der Waldenser […] und anderer Belialssöhne, welche Schmutz- und Schandflecken innerhalb des Menschengeschlechtes waren und daher rechtmäßig vom Apostolischen Stuhl mit dem Bann bestraft wurden.

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