Schwarzbuch Kirche - Und führe uns nicht in Versuchung
war natürlich nur eine Frage der Zeit, bis dieser Schachzug publik wurde, denn die Banca Romana musste ihre Noten, die ihr von den anderen Banken vorgelegt wurden, ja immer wieder gegen deren Noten einlösen.
1893 war es so weit, die Deckungslücke betrug inzwischen ca. 75 Millionen Lire. Es kam zum Skandal, zu Durchsuchungen und Anklagen. Direktor Tanlongo wurde nicht bestraft, der Strafprozess gegen ihn wurde eingestellt. Es zeigte sich, dass die Banca Romana vielen Politikern, Presseleuten und anderen einflussreichen Personen große Kredite ohne Sicherheiten gewährt hatte. Friedrich Engels schrieb am 3 . Februar in der sozialdemokratischen Zeitung Vorwärts : »Tanlongo ist ein in allen Wassern gewaschener, durch und durch geriebner alter Italiener, kein grüner Neuling im Schwindel […]. Tanlongo ist ein frommer Mann, der jeden Morgen um 4 Uhr in die Messe ging, wo er die Geschäftchen abmachte, deren Träger und Vermittler – blamier mich nicht, mein liebes Kind – er nicht in seinem Bankkontor zu sehen wünschte. Tanlongo stand auf vortrefflichem Fuß mit dem Vatikan, und nach dem für die italienische Polizei unantastbaren Vatikan soll er ein Kästchen in Sicherheit gebracht haben, das diejenigen Dokumente enthält, die ihn sicherstellen gegenüber seinen mächtigen Freunden und Gönnern, diejenigen Dokumente, die er der Justiz nicht voreilig anzuvertrauen wünscht. […] Und Tanlongo hielt gewisse Aktenstücke, die ihn verteidigen und den wahren Sachverhalt klarstellen sollen, für sicher nicht beim italienischen Untersuchungsrichter, sondern nur im Vatikan.«
Tanlongos Verbrechen kann man natürlich nicht »der Kirche« anlasten. Über Mitwisser und Hintermänner aus dem Vatikan ist nichts bekannt geworden und vermutlich gab es sie auch nicht. Aber es zeigt sich hier erstmals eine Schwäche, die der römischen Kurie, der päpstlichen Verwaltung, in den folgenden Jahrzehnten immer wieder unterlaufen sollte: Mit der Auswahl von Vertrauenspersonen und Geschäftspartnern nahm man es nicht so genau. Vor zweifelhaften Praktiken verschloss man die Augen. Und schließlich ließ man es zu, dass der fromme Ruf und die juristische Exterritorialität des Vatikans von Kriminellen zur Sicherung ihrer Beute und zur Strafvereitelung genutzt wurden. Der Fall Tanlongo hätte eine Warnung sein können.
Unsaubere Hände
Ein grundlegender finanzieller Neubeginn war für die römische Kirche erst 1929 möglich, als man sich mit Mussolini über den neuen Vatikanstaat geeinigt hatte. Der Lateranvertrag sah für das 1870 verlorene Vermögen eine Entschädigung in Höhe von 1 , 75 Milliarden Lire vor. Die Lira war trotz zwischenzeitlicher Abwertung immer noch eine schwergewichtige Währung, und der Milliardenbetrag entsprach gut 79 Tonnen Feingold oder 92 Millionen US -Dollar. Dieses Geld wurde zum Teil von einer eigens gegründeten Behörde, der Amministrazione Speciale della Santa Sede, verwaltet und ansonsten bei der Amministrazione per le Opere di Religione angelegt. In den vierziger Jahren wurde die zweite Verwaltung zu einer richtigen Bank ausgebaut und in Istituto per le Opere di Religione ( IOR ) umbenannt. Papst Pius XI . ( 1922 – 1939 ) gewann als Direktor der Amministrazione Speciale della Santa Sede den Bergbauingenieur Bernardino Nogara, der einer Familie entstammte, die der Papst seit Jahrzehnten kannte und die mehrere Prälaten hervorgebracht hatte; zwei Brüder Nogaras waren Erzbischöfe.
Nogara, ein loyaler und fähiger Finanzfachmann, nahm die Position an, allerdings stellte er die Bedingung, dass er in seiner Tätigkeit nicht durch religiöse oder kirchliche Lehren behindert werden dürfe. Der Papst ging darauf ein, obwohl er damit in Widerspruch zu seinen eigenen wirtschaftsethischen Forderungen geriet, die er kurze Zeit später, 1931 , in seiner Enzyklika Quadragesimo anno (»Im vierzigsten Jahr«) formulierte. Nogara gelang es zunächst, das Vermögen des Papstes über den Börsencrash des Jahres 1929 zu retten, indem er auf Gold und Immobilien setzte. Danach finanzierte er Mussolinis Kriegszug nach Äthiopien, der im ersten Kapitel beschrieben ist, und weitete das Engagement des Vatikans in der italienischen Wirtschaft aus. Die Beteiligung an der Società Generale Immobiliare, der größten italienischen Baufirma, wurde erhöht und ein großer Anteil am Versicherungskonzern Assicurazioni Generali erworben.
Über ein geschickt aufgebautes System von Holdinggesellschaften gelang es Nogara
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