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Schwarze Blüte, sanfter Tod

Schwarze Blüte, sanfter Tod

Titel: Schwarze Blüte, sanfter Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harry Thürk
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gestorben ist ...«
    Daraufhin sagte ich: »Das tut mir leid. Wenn Sie Hilfe brauchen ... Wollen Sie zur Beisetzung nach Shanghai?« Was man eben bei einem Ereignis dieser Art so sagt.
    Sie ließ einige Zeit verstreichen, bevor sie mich ins Bild setzte: »Mein Vater starb hier in Hongkong, Mister Lim Tok.«
    Â»Ich wußte nicht, daß er hier war, Verzeihung ...«
    Â»Doch, Sie wußten es. Sie arbeiteten für ihn.«
    Was war das? Zuerst wollte ich noch einmal nachfragen, wie ich das zu verstehen hätte. Aber dann schoß plötzlich die Erkenntnis wie ein Schlaglicht durch meinen Kopf: »Mister Ai Wu?«
    Sie nickte. Weinte wieder. Und ich versuchte, die wirr durcheinander gewürfelten Teile dieses Puzzles zu einem einigermaßen deutbaren Bild zu ordnen. Wenn Ai Wu ihr Vater gewesen war – dann war ihre Mutter ...
    Ich schätzte ihr Alter und rechnete die Jahre zurück. Heraus kam eine Zeit, zu der Ai Wu noch ein kleiner Eleve am Theater in Shanghai gewesen sein mußte.
    Und mit einemmal begriff ich, was sich hier abgespielt hatte. Wäre Bobby Hsiang dabeigewesen, hätte er mich sicher wieder gefragt, ob mir nicht gut sei. Ich glaubte zu spüren, wie mir die Farbe aus dem Gesicht flog.
    Nachdem das Mädchen sich erneut die Tränen abgewischt hatte und versuchte, keine neuen aus den verschwollenen Augen zu verlieren, war ich entschlossen, das Rätselraten endgültig zu beenden. Die Wahrheit mußte auf den Tisch. Ich ahnte sie. Aber das Mädchen allein konnte sie bestätigen.
    Â»Stimmt es, daß Sie im Hause der Eltern von Keng Do-lin aufgewachsen sind?«
    Sie nickte.
    Â»Als Waise. Adoptivkind, sozusagen ...?«
    Sie ließ mich warten. Schließlich raffte sie sich auf: »Nein. In Pflege.«
    Â»Ihre Mutter ...?«
    Es schien, als habe sie die Stimmung überwunden, die sie zum Weinen gebracht hatte. Beinahe trotzig klang es, als sie sagte: »Sie kennen Sie!«
    Â»Ich ... kenne Ihre Frau Mutter?«
    Unvermittelt schrie sie mich an: »Hören Sie auf, Fragen zu stellen wie ein Polizeibeamter!«
    Dann besann sie sich, und nach einer Weile setzte sie leiser fort: »Ich kann Ihnen das alles auch nur lückenhaft erklären. Ich weiß es erst seit heute. Ja, ich wuchs im Haus der Eltern Keng Do-lins auf. In der Annahme, ich sei ihr Kind. Do-lin war für mich der Bruder. Obwohl wir uns selten sahen. Er lebte nicht bei den Eltern. Als ich in der Schule die ersten Szenen im Schülertheater spielte, sah er sich das an, und später verhalf er mir zur Aufnahme in die Schauspielschule. So kam ich zum Theater. In Shanghai. Als Keng Do-lin mit seinem Ensemble nach Hongkong ging, nahm er mich mit ...«
    Als sie eine Pause machte, versuchte ich, der Darlegung etwas an Ernst zu nehmen, indem ich einwarf: »Als brüderliche Hilfe sozusagen!«
    Ihr Gesichtsausdruck blieb ernst. Sie nahm den Ball nicht auf. Sagte: »So ähnlich, ja. Als wir schon hier spielten, stieß Yang Mou zu uns. Do-lin kannte sie von früher. Die beiden lebten dann bald zusammen. Und eines Tages ... kam der Zusammenbruch meiner Mutter ...«
    Bobby hatte doch recht gehabt, hinter dem, was ich im Rahmen meines Engagements für Ai Wu zu erledigen gehabt hatte und was mir nicht gerade prachtvoll gelungen war, steckte die eigentliche Geschichte, von der sich immer überraschendere Kapitel auftaten.
    Â»Ja«, bestätigte Wei Wen-tang, »Yang Mou ist meine Mutter. Ich erfuhr das erst heute. Wie auch, daß Ai Wu mein Vater war. Er hatte meine Mutter geschwängert, ohne es zu erfahren, weil man sie in dieses Lager da oben im Norden schickte. Sie brachte mich zur Welt. Schmuggelte mich als Säugling heraus, damit ich überleben konnte. Um im Lager nicht dafür zusätzlich bestraft zu werden, verbreitete sie, ich sei gestorben und sie habe mich gleich begraben. Niemand interessierte sich weiter dafür. So kam ich auf Umwegen zu Do-lins Eltern.«
    Â»Und das alles wußten Sie nicht?«
    Â»Wer hätte es mir sagen sollen? In Shanghai rieten Do-lins Eltern meiner Mutter, nach ihrer Rückkehr zu warten, bis ich etwas älter sei. Wegen des Schocks. Und Ai Wu lachte meine Mutter aus, schon als sie ihm nur die Version mitteilte, nach der sie mich begraben hatte ...«
    Ich lauschte ihrer Geschichte, ohne sie in jeder Einzelheit sogleich zu begreifen. Das würde dauern. Vorerst erfuhr ich, daß Keng Do-lin mit ihrer

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