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Schwarze Blüte, sanfter Tod

Schwarze Blüte, sanfter Tod

Titel: Schwarze Blüte, sanfter Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harry Thürk
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er mir an: »Weißt du, ganz wohl ist mir bei der Sache nicht. Die Truppe Tienchao wird auseinanderbrechen, wenn sie ihren Chef verliert. Jede solche Truppe hat eine Seele des Geschäfts. Das ist in diesem Falle er. Und auseinanderzubrechen ist das letzte, was ich so einem Ensemble wünsche, zumal es aus dem Mutterland ist. Sie werden sich boykottiert fühlen. Für Landsleute ist das ein schlimmes Gefühl ...«
    Was sollte man dazu sagen? Die alte Oper war inmitten der wahnwitzigen Ausmaße, die unsere Hongkonger Unterhaltungspalette angenommen hatte, nur ein Farbtupfer von vielen. Im Mutterland hatte jede Region ihre eigenen Opern, und nicht immer interessierten sich die Bewohner der einen Region für die Opern der anderen – das waren gewiß gute Entschuldigungen. Trotzdem blieb ein schales Gefühl, da hatte Bobby recht. Auch ich stellte mir nicht gern das Gesicht von Wei Wen-tang vor, wenn sie die letzte Vorstellung gab.
    Â»Was weißt du über diese Adoption des Mädchens durch Keng Do-lins Eltern?«
    Â»Zu wenig«, gab er mürrisch zurück. »Wir haben das aus Shanghai erfahren, aus offizieller Quelle. Nur sind die Leute dort nicht umfassend genug informiert, daß sie uns helfen könnten, ein so kompliziertes Rätsel zu lösen ...«
    Â»Aber der Fakt, daß sie adoptiert wurde, stimmt?«
    Â»Das stimmt, ja.«
    Meine Gedanken begannen zu kreisen. Ohne Ergebnis. Plötzlich allerdings begriff ich, was an diesem Engagement, das ich dem nun toten Ai Wu verdankte, eigentlich interessant gewesen war: nicht so sehr der Brand des Hauses, auch nicht die Kidnappings, nicht einmal seine Ermordung – es war das, was an unbekannten Zusammenhängen hinter all diesen Vorgängen steckte! Ich würde das Bobby nicht sagen, um ihn nicht eitel zu machen, aber er hatte schon gewußt, weshalb er mir anbot, mit zu den Opernleuten zu fahren ...
    Sie spielten Die Leere Stadt , wie aus dem Schaukasten am Eingang des großen Zeltes zu entnehmen war. Eine berühmte Geschichte, die in China selbst Kinder schon kannten, weil sie aus einem der populärsten historischen Romane stammte: Die Drei Reiche , eine aus dem chinesischen Mittelalter, ab 221 nach der Kreuzigung des Religionsgründers Christus in Palästina überlieferte Geschichte. Keine todernste Sache, im Gegenteil, es war die Story Dschugo Liangs, des listigen Generals aus dem Reiche Schu, einer Gattung, die man heute unter den vielen uniformierten Betonköpfen kaum noch findet ...
    Bobby sah auf die Uhr: »In einer halben Stunde fangen sie an.«
    Â»Du willst ihn vorher kassieren?«
    Er schüttelte den Kopf. »Das krieg ich nicht fertig. Ich setze mich rein und gucke mir den Dschugo Liang an, den er spielt. Danach ist Zeit für ... die Sache ...« Er sah nicht sehr glücklich aus.
    Ich entdeckte den Namen Wei Wen-tangs nicht auf dem Programmzettel. Die Leere Stadt hatte wohl eher Männerrollen. Also war sie in ihrer Garderobe, rechnete ich mir aus. Den Wagen, in dem sie lebte, kannte ich. Von Bobby trennte ich mich bis zur Vorstellung: »Halt mir den Platz neben dir frei!«.
    Er versprach das mit säuerlichem Gesicht.
    Das Mädchen saß zwar vor dem Spiegel, als warte sie auf die Maskenschminkerin, aber sie trug kein Kostüm, und sie blickte mit einem seltsam leeren Ausdruck in den Augen zu Boden. Ins Leere. Sie sah nicht einmal auf, als ich eintrat.
    Â»Hallo!« sagte ich. Und dann, um ihr zu beweisen, daß ich nicht nur kantonesisch sprach, sondern auch Mandarin : »Nii Hao!«
    Sie reagierte nicht auf den Gruß. Starrte vor sich hin, ohne etwas zu sagen, ohne ein Zeichen, daß sie mich überhaupt wahrgenommen hatte.
    Ich räusperte mich verlegen. Dann entdeckte ich den Schemel, der in ihrer Nähe stand und hockte mich ihr gegenüber.
    Sagte nichts. Wartete. Eine gespenstische Minute nach der anderen.
    Â»Kann ich helfen?« erkundigte ich mich schließlich. Draußen mußte in einigen Minuten die Vorstellung beginnen.
    Â»Nein«, antwortete das Mädchen knapp. Sie sprach zum ersten Mal. Danach versank sie wieder in Schweigen. Bis ich mich erneut räusperte und vorsichtig fragte: »Sie treten in der Leeren Stadt nicht auf?«
    Da begann sie zu weinen. Griff sich vom Schminktisch einen Fetzen Krepp und trocknete das Gesicht. Sagte dann unvermittelt: »Ich trete nicht auf. Ich habe ... erfahren, daß gestern mein Vater

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