Schwarze Blumen auf Barnard Drei
Doch dann waren da Fetzen von Erinnerungen an irgendein Foto, das er gesehen hatte, das Flechtwerk zu vieler, zu langer, zu dünner Arme und Beine. Dann wußte er, auf welchem Bild er dergleichen gesehen hatte, genau dieses Muster vor etwas Leerem wie Himmel. Am Ende floß all das ineinander und in den Drang zu lauschen. Er wußte genau, was er hören würde, und dann hörte er es auch: fernes, sehr fernes Klingen wie von zersplitterndem Glas.
Plötzlich wurde etwas ganz anders. Er glaubte zuerst, der Tanz der Linien habe ein Ende gefunden, aber dann sah er, daß die Sonne selbst verblich. Ihre Glut zerlief und ergoß sich als karminfarbener Schein über die Breite des östlichen Horizonts. In einer Minute erkaltete das Grün des Himmels zu Grau.
Ganz in der Nähe waren auf einmal Flecke in der Luft, dünne, durchsichtige Gespinste, wie Späher vor der Front einer heranrückenden
Macht. Das ist es, dachte er, auf das also habe ich so lange gewartet. Er war ein wenig ernüchtert über die Belanglosigkeit der Erscheinung.
Über dem westlichen Horizont sah er den Rauchfaden, den die Verbrennungsanlage des Hauses in den Himmel schickte, und die lotrechte Bravheit, mit der dieser Rauch aufzusteigen fortfuhr, rechtfertigte seine Enttäuschung. Aber eine Sekunde später, als er den Blick rundum laufen ließ, fielen ganz andere Gefühle über ihn her. Im Osten, der Station genau gegenüber und nahe der Sonne, stieg eine zweite Rauchsäule auf und von genau der nämlichen Gestalt wie die, die er im Westen gesehen hatte. Dort im Süden und Westen verloren Himmel und Land ihren Unterschied, das eine ertrank im anderen, vermischte sich zu durchleuchtetem Nichts, das höher als der Himmel selbst zu reichen schien. Es verschlang die Sonne vollends. Dann sah er zu, wie das überschaubare Terrain schrumpfte. Rundum brachen die Ränder ab, versanken in irgend etwas Leichtem und Lautlosem. Er fühlte sich wie ein Insekt in einer nur oben offenen Schachtel, wie ein Insekt ohne Flügel. Die Wände der Schachtel waren jetzt weiß, rückten vorwärts und auf ihn zu.
Am Ende stand er da wie erblindet. Um ihn war rosafarbene und bilderlose Leere.
Poul Lampoo
Wissenschaftliches Forschen, einst eine Domäne einzelner exklusiver Köpfe, war diesen einzelnen längst entglitten und hatte sich zu Unternehmen ausgewachsen, die industriemäßig organisiert und betrieben wurden, in der Regel mit enormen, nur international tragbaren Aufwänden. Die Ökonomie war aber nur das eine, das andere war der Umgang mit der zum Forschen notwendigen Information. Über die wissenschaftlichen Einrichtungen der Welt rann ein unablässiger Regen von Nachrichten herab oder eher ein Hagel- oder Steinschlag. Man konnte den Eindruck gewinnen, daß die Nachricht allmählich die Dimension einer Art unabwendbarer Naturerscheinung annahm, die ihren Erzeuger, die Forschung, unter sich zu begraben und dessen Leben zu ersticken drohte. Vorrangig in kleineren Institutionen gelang es nicht sogleich, auch dieses Phänomen industriemäßig zu handhaben, um seiner Herr zu werden. Und es schien, als sei genau in diesen Häusern vorerst noch mit guten Köpfen etwas zu machen.
Es war ein Dienstag mit Zehnuhrdreißigrapport. Poul Lampoo saß schon da, eine reichliche halbe Stunde zu früh. Von einer der Stirnwände des Besprechungszimmers blickte das Bildnis des Nobelpreisträgers Joshua Lederberg über den Tisch und über die beidseitig am Tisch entlanglaufenden Reihen leerer Stühle hinweg auf die andere Stirnwand und die Box einer Zwanzigtausend-U/Minuten-Zentrifuge, die mit angestaubter Folie überworfen und dort offensichtlich fehl am Platze war. Immerhin stand ein Tablett obenauf mit einem Trinkglas und zwei Flaschen Mineralwasser. Lampoo hatte es vermieden, den Blick des Bildnisses zu kreuzen, und sich in dessen totem Winkel niedergelassen, im Schatten eines verglasten Vivariums, das dort stand und das man die Blöße des Raumes zu bedecken bestimmt hatte. Lampoo tat nichts. Er liebte leibliche Trägheit. Wahrscheinlich mochte er diese Trägheit nicht um ihrer selbst willen, sondern weil sie ihn zuweilen und mit der Plötzlichkeit von Überfällen in Momente der Klarsicht entrückte, in Sekunden über die Maßen scharfen Durchblicks, der Vorzeichnung von entscheidenden Zügen, zu Gedankenblitzen. Von einem gewissen, ziemlich weit zurückliegenden Zeitpunkt an glaubte er, in diesen Augenblicken die Quelle all dessen erkannt zu haben, was er war und
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