Schwarze Blumen auf Barnard Drei
galt.
Seither lebte er in einer zäh andauernden Art von Furcht und niemals, ohne Pfefferminzpastillen bei sich zu führen; die Empfindung von Zugluft im Mund, die entstand, wenn er Pfefferminzpastillen lutschte, schien ihm wie ein stimulierendes Fluidum zu wirken, das dieser inneren, unzuverlässigen Quelle auf die Sprünge half.
Lampoo saß nur da und starrte in das Grün des Vivariums, eigentlich leeren Blicks, bis endlich das Bild eines einzelnen Blattes in sein Bewußtsein drang. Das Blatt zitterte. Daraufhin vernahm er auch den Pumpensingsang der Ultrafilteranlage, deren Schwingungen aus dem Südflügel des Gebäudes bis hier herübergelangten. Ein Name hing mit dem Singsang zusammen, Prouza, der Name des Ultrafiltervirtuosen Dr. Joseph Prouza, des Tschechen. Aber da entdeckte Lampoo neben dem zitternden Blatt ein zweites, unbewegliches, und der Gedanke an den Tschechen verflüchtigte sich. Es war kein Blatt, es handelte sich um etwas anderes, weniger Lebendiges: eine grüne Fangschrecke. Mantis religiosa, fiel ihm ein, die Gottesanbeterin.
Die folgende halbe Stunde verbrachte Lampoo mit nichts mehr als der Betrachtung dieses Insekts. Übrigens machte er noch drei, vier weitere der kaum fingerlangen, blattgrünen Tiere aus, die in den Zweigen hingen wie lebloses Dekor. Er erinnerte sich einiger Einzelheiten im Gehabe dieser Tiere, die er irgendwann gelesen und erfahren hatte, ihrer Tricks, ihres unglaublich geduldigen Harrens auf die Gelegenheit. Wirklich hielt das Tier die vorderen Gliedmaßen wie zum Gebet erhoben. In Wahrheit war es ein Paar durch hochgespannte Muskulatur fixierter scharfer Klingen eines halbgeöffneten Klappmessers. Irgend etwas faszinierte ihn. Lampoo selbst schien zu erstarren, seine eigene Reglosigkeit erreichte alsbald die gleiche Perfektion wie die des Insekts, auf das er seine Pupillen gerichtet hielt.
Gerede und das Geräusch rückender Stühle rissen ihn fast gewaltsam aus seiner Versunkenheit. Gut ein Drittel der Plätze hatte man schon besetzt, auch Prouza war da und grinste in Lampoos Richtung hin, der Einmarsch zum Rapport befand sich in vollem Gange. Lampoo beeilte sich, die Züge seines Gesichts zu einem gewinnenden Ausdruck zu ordnen, und begrüßte von da an jeden der eintreffenden Kollegen mit einem Nicken und mit freundlicher Gewogenheit. Noch einige zwanzig Mal hatte er so zu nicken, denn die Kollegen mußten alle an ihm vorbei. Dann traf der Chef ein und hinter ihm kaum sichtbar eine der akademischen Sekretärinnen, die das Tablett mit dem Glas und mit den Flaschen von der Box auf den Tisch und in die Reichweite des Chefs zu plazieren befugt war.
Dem nun Folgenden hörte Lampoo nur mit halbem Ohr zu. Es wurde von Dingen geredet, die für den Rapport programmiert waren, die alle Anwesenden hinreichend kannten und für die sich kaum jemand interessierte. Das Wichtige, das Halbe, Offene, die Spuren und keimenden Ideen erörterte man in kleineren Kreisen und an anderem, weit weniger offiziellem Ort.
Gewisse Formen des Hefepilzes Candida hatten sich in den Lungen der Menschen eine verheerend wirkende Position verschafft und behaupteten sie so hartnäckig wie einst Mycobacterium tuberculosis. Es handelte sich um einen unter zahlreichen anderen Fällen einer allgemeinen Erscheinung: Krankheitserzeugende Bakterien waren mit Hilfe von Antibiotika vorwiegend pilzlichen Ursprungs nahezu völlig aus dem menschlichen Körper vertrieben worden, und nun schickten sich die Pilze selbst an, den frei gewordenen Raum zu besetzen. Geschichte läßt sich nicht umkehren. Der Weg rückwärts, Pilze durch bakterielle Antibiotika zu vernichten, erwies sich als ungangbar. Nunmehr suchte man nach geeigneten Eiweißkörpern, Immunoglobulinen, die, in die Blutbahn geimpft, den menschlichen Organismus befähigen sollten, sich des Angriffs der Pilze aus eigener Kraft zu erwehren.
Es gab theoretische Modelle für das gesuchte Globulin. Das Institut, mitten im stillgelegten Belgisch-Flämischen Kohlenrevier gelegen, hatte den Auftrag, das richtige Modell herauszufinden und zu synthetisieren.
Man muß beträchtliche Mengen an Information in ein solches synthetisches Molekül einbauen, damit es die feindliche Struktur zu erkennen und zu töten, zugleich sich dem Wirt als freundlich auszuweisen und dessen Mechanismen zu nutzen versteht, um sich selbst zu erhalten und zu vermehren. Ein solches Molekül ist daher groß und kompliziert. Die Entwicklung der Technologie
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