Schwarze Blumen auf Barnard Drei
hinter manchen Stirnen liefen Gedanken ab, die stumm blieben und die man nicht sah. Auch Lampoo wurde von solchen Blicken getroffen, er hatte sich von der Vitrine abgewandt, beobachtete genau, was am Tisch vor sich ging, sein gewinnender Ausdruck gefror zur Maske. Der Lauf der Dinge erfüllte ihn mit Zufriedenheit.
Wie alle anderen Kollegen ging Lampoo, als sich die Versammlung auflöste, in den Labortrakt zurück, dem er vorstand. Dort gab er den Technikern und einigen Mädchen eine Reihe von Weisungen, die sie daran hindern würden, ihn in den kommenden Stunden zu stören, und verschwand in seiner Kabine, der Denkzelle, seinem Kabuff, das er am liebsten mit niemand anderem als der darin installierten Informationsmaschinerie teilte.
Er setzte sich in den Drehsessel vor die Maschine, nur wartend, ohne etwas zu tun. Dann lauschte er einige Minuten lang über Videotext und über Kanäle, zu denen er sich Zugang zu verschaffen gewußt hatte, in die Korrespondenz des Hauses hinein, in die privaten und halbprivaten Gespräche, die zahlreicher, kürzer und nervöser abliefen als die sonst nach den Dienstagrapporten üblichen und in denen er gewisse häufig vorkommende Chiffren als seinen eigenen Namen erkannte. Man war erregt und rätselte. Einige Mitarbeiter in anderen Arbeitsgruppen interessierten sich für die Frage, wozu er, Lampoo, das Röntgendiffraktometer angefordert hatte, ausgerechnet dieses Gerät und kein anderes. Danach versank er erneut in Unbeweglichkeit und in Nachdenken.
Das Resultat seiner Überlegungen veranlaßte ihn zu einer sonderbaren Tätigkeit, mit der er den Rest des Arbeitstages und einen Teil der Nacht dahinbrachte. Er kramte in Papieren, wie sie sich allenthalben in stillen Winkeln von Labors ablagern wie Staub, in Bändern, Sonderdrucken, einzelnen Nummern alter Journale. Er wußte nicht genau, wonach er zu suchen hatte, aber er durchblätterte die Papiere mit traumwandlerischer Sicherheit, daß er etwas finden würde.
Tatsächlich stieß er auf die Arbeit eines chilenischen Gärungstechnologen, der mitteilte, wilde, durch den Hefepilz Candida verursachte Gärung im Wein lasse sich durch Zuschlag äußerst geringer Mengen eines gewissen Peptons, eines Eiweißbausteins, unterbinden. Das Pepton vermochte Candida zu töten. Lampoos Finger begannen zu zittern, während er die Seiten umwandte. Wirklich war da jene Kette von Buchstaben abgebildet, an die er sich erinnert hatte. Schon vor nahezu achtzig Jahren hatte der Mann den Aufbau des Peptons genau beschrieben, die Buchstaben symbolisierten Aminosäuren und in welcher Reihenfolge sie aneinanderhingen. Die Moleküle mußten gleichsam gezähnt aussehen wie der Bart eines Sicherheitsschlüssels.
Lampoo begriff, daß er mit dieser Arbeit alles in Händen hielt, wonach die vielen Leute im Hause schon so lange vergeblich suchten, mit diesen morschen Blättern, die er aus dunklen Gründen oder in sonderbarer Hellsichtigkeit nicht weggeworfen hatte, als sie ihm unter die Augen gekommen waren, sondern aufbewahrte und im Gedächtnis behielt.
Das Zahnmuster des Peptons paßte in ein entgegengesetztes Muster
irgendeiner Struktur der Candidazelle wie ein Schlüssel ins Schloß, und ebendieser Umstand brachte die Zelle um, sie starb daran. Er hielt hier wirklich alles im Griff. Alles und nichts. Das Pepton, die Zähne des Schlüssels, mußte zugleich auch in ein zweites Schloß passen, in eine entsprechende Struktur des Globulins, an dem diese Leute bauten. Das Pepton mußte mit diesem Globulin verbunden werden, denn der menschliche Organismus würde das Pepton allein und ohne den Schutz des Eiweißes einfach verdauen, ehe es ihm nützen konnte in seinem Kampf gegen Candida, die in seinen Lungen fraß.
Lange saß Lampoo in seinem Sessel, starrte auf die Seite des Journals und die dort abgedruckte Buchstabenkette, ohne sich zu bewegen. Das Bild des grünen Insekts im Vivarium flatterte ihm durchs Hirn, und dann wurde er plötzlich zweifacher Schatten inne, die unter den Dingen in seiner Zelle hervorkrochen, durch das Fenster glomm der neue Tag. Da wußte er endlich, was er zu tun hatte.
Die Dienstagrapporte zerhackten die Zeit wie Taktgeber in rhythmische Intervalle. Einige Wochen gingen dahin. Früher als gewöhnlich nahmen die bewaldeten und sonderbar dachförmigen Hügel inmitten der Ebene jene elegische Färbung an, die das Ende des Sommers anzeigte, und die Hänge der Abraumhalden schickten das graue Licht durch die
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