Schwarze Blumen auf Barnard Drei
seiner Synthese bedarf einleuchtenderweise einer noch weit größeren Informationsmenge, als es enthält, vielleicht das Tausendfache. Die Menge der notwendigen Daten erwies sich – ähnlich der verschlungenen Struktur des Zielkörpers selbst – als wahrhaft labyrinthisch.
Die Schwierigkeit der Aufgabe spiegelte sich in komplizierten Beziehungen zwischen den Menschen wider, die an ihr arbeiteten. Die Möglichkeit, das gesuchte Eiweiß aus wenigen schweren, schon hochkomplexen Molekülgruppen zusammenzufügen, aus biologisch vorgefertigtem Halbzeug quasi, und die andere Möglichkeit, es nur aus leichten, niedermolekularen Gliedern von Grund auf neu zu bauen, Teil an Teil wie ein Puzzle, hatte die Biochemiker zu zwei rivalisierenden Gruppen formiert. Beide Gruppen verband oder trennte eine dritte: die zur Beschaffung von Information, und eine vierte: die Ökonomen. Quer durch die Gruppen hindurch schnitten die experimentellen und theoretischen Methoden.
Nun war der Forschungsauftrag, sofern er erfüllt wurde, nicht nur von wissenschaftlichem, sondern auch von außergewöhnlichem öffentlichem Interesse. Es ging um profundes humanitäres Verdienst. Dies alles, die kleine Kopfzahl des Kollektivs und die durch sie deutlicher werdende Individualität jedes einzelnen Mitarbeiters rückte einen weiteren Gesichtspunkt in den Kreis des Absehbaren, nämlich die Verteilung dieses Verdienstes. Jedermann hielt all das auf seine Weise im Auge, nach Maßgabe seiner Intelligenz, seines Naturells, seines Charakters, seiner persönlichen Ziele.
Mit großen, behäbigen Schlucken trank der Chef eine Flasche Mineralwasser leer, Zeichen für das Ende seiner Rede. Man hörte diskretes Rücken von Stühlen, Gehüstel, Geräusche weißen Kittelstoffs, der aneinanderrieb. Der Mann bedurfte des Monologs und beträchtlicher Leibesmasse, um wenigstens diesen einen Fixpunkt aufrechtzuerhalten, sich selbst, der den Strömungen und geheimen Wirbeln widerstand, um deren Umtriebe im Haus er wußte. Er hatte die notwendige Masse. Auf schwerem Körper saß ein runder Kopf, und auch daran schien alles schwer: die Stirn, die fleischige Nase, die Unterlippe, die unter der zu kurzen oberen weit heraussprang aus dem Gesicht und, ihrem eigenen Gewicht gleichsam erliegend, ein wenig nach unten hing.
»Nun. Etwas Wichtiges?« fragte der Dicke wie immer, nachdem er getrunken hatte, und vollzog damit den Ritus der wunderbaren Wandlung des Monologs zum Rapport.
Auch das Weitere folgte dem Zeremoniell: Niemand hatte etwas Wichtiges vorzubringen.
»Kollege?« ermunterte der Chef den Wissenschaftlichen Direktor, seinen Nachbarn zur Linken.
Lampoo nahm von alldem kaum etwas wahr. Er schien nur von der Vitrine in Anspruch genommen und ihrer Insassin Mantis religiosa. Plötzlich und wie aus dem Nichts sich bildend, schob sich ihm ein ganz anderes Bild vor die Augen, ein Muster, eine Kette von Buchstaben, die auf erregende Weise mit den Mustern anderer Buchstabenketten zu tun hatte wie ein Schlüssel mit einem Schloß. Das Bild gerann zu klaren Typen eines gedruckten Textes, zur Erinnerung an das Schriftbild eines alten biochemischen Journals.
Der Wissenschaftliche Direktor sagte etwas über neuartige Investplanformulare, die wie Magnetkarten aussähen. Ob es wirklich welche seien? Man solle die Sache den Ökonomen übertragen, die Wissenschaftliche Sektion habe anderes zu tun.
Hinter den Bildern, die Lampoo zugeflogen waren, kam Unruhe auf. Die Buchstaben wurden durchlässig und gaben den Blick auf das Innere des Vivariums wieder frei. Ein Tausendfüßler wand sich dort durch das Gewirr der Blätter und Stiele. Er passierte den Bannkreis der Gottesanbeterin in wenigen Zentimetern Distanz. Das Dreieck ihres Kopfes folgte dem Weg der Beute, lauernd, kalt, präzise wie ein Fernrohr dem Azimut seines Sterns. Der Wurm glitt unbehelligt vorbei, die Messer bissen nicht zu. Die Mantis fuhr fort zu warten. Noch war dies nicht ihre Gelegenheit.
Lampoo sagte plötzlich: »Ich werde Kapazität am Röntgendiffraktometer benötigen, in Kürze und ziemlich viel.« Seine Miene drückte gefälliges Entgegenkommen aus. »Wenn Sie mir einen Tip geben wollten für den Termin der verbindlichen Anmeldung. Ist das möglich, bitte?«
Er erhielt eine beruhigende Antwort. Aber in der Minute, während sie gefunden wurde, schossen scharfe, forschende Blicke aus verschiedenen Richtungen über den Tisch hinweg, weiter vorn wurde geflüstert,
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