Schwarze Blumen: Thriller (German Edition)
meines Vaters und meine eigenen Internet-Ausdrucke in einer Schublade im Büro und machte mich zu Fuß auf den Weg. Draußen konnte ich das unbehagliche Gefühl, dass mir jemand folgte oder mich beobachtete, nicht abschütteln und blickte immer wieder über die Schulter, doch es war Sonntagmorgen und der Campus wie tot. Nur hier und da schlenderten Studenten über das Gelände, und niemand zollte mir Beachtung.
Nachdem ich mehr schlecht als recht auf den Sesseln des Dozentenzimmers geschlafen hatte, war ich erschöpft und zog fröstelnd meine Jacke enger.
Südlich vom Zentrum überquerte ich den Fluss, blieb jedoch in der Mitte der Brücke stehen und lehnte mich auf die alte Balustrade mit der abblätternden grünen Farbe. Zwanzig Meter unter mir schwappte das träge Wasser an die bemoosten Steine am Ufer. In der Ferne ragten glänzende Glastürme und riesige Kräne auf.
Früher einmal war die ganze Gegend hier Industriegebiet gewesen: graue Werkstätten und Fabrikgebäude, so weit das Auge reichte. Sie waren durch den Handel entstanden, den der Fluss dem Landstrich einmal beschert hatte, und waren längst verfallen. Seitdem hatte man beträchtliche Gelder in den Wiederaufbau gepumpt und die Landschaft mit Farbklecksen gesprenkelt; die Gegend hatte sich, zumindest kurzfristig, erholt. Das andere Ufer säumten Blocks mit Luxuswohnungen und Penthouse-Apartments auf den konisch zulaufenden Oberbauten und einem Wolkenpanorama in den blitzblanken Glasfassaden, doch viele davon standen leer. Eine größere Anzahl von Bauvorhaben war nicht zu Ende geführt worden, so dass es in den Bauten von Leerstand wimmelte. Im Erdgeschoss eröffneten in deprimierender Regelmäßigkeit trendige Bars oder Boutiquen und machten nach kurzer Zeit wieder dicht. Dieser ganze halb fertige Stadtteil schwächelte und schien jeden Moment vom endgültigen Kollaps bedroht. Nach allem, was ich online über ihn gelesen hatte, schien es traurig angemessen, dass Andrew Haggerty hier wohnte.
Hinter der Brücke lief ich eine Straße mit falschem Kopfsteinpflaster entlang und gelangte auf einen zentralen Platz mit einem sanft rieselnden Brunnen in der Mitte. Haggertys Block befand sich an der Ecke: fünf Stockwerke Wohnungen über einem Bistro mit grünen Läden und einem Zeitungsladen. Die Haustür funktionierte mit Schlüsselkartensystem, doch zusätzlich gab es eine Gegensprechanlage. Ich summte die Wohnungsnummer an, die mein Vater aufgeschrieben hatte, und wartete.
Wenig später ertönte ein Knistern.
»Hallo?«
Es war eine Frauenstimme, was mich überraschte.
»Hi«, sagte ich. »Könnte ich wohl mit Andrew Haggerty sprechen?«
»Gut, warten Sie einen Moment.«
Noch ein Knistern, dann Stille.
Schließlich eine Männerstimme. »Hallo. Wer ist da bitte?«
»Hi, Mr. Haggerty. Mein Name ist Neil Dawson. Ich glaube, Sie haben vor ein paar Wochen mit meinem Vater, Christopher, gesprochen?«
Wieder Schweigen.
»Mr. Haggerty?«
»Warten Sie da«, sagte er. »Ich bin in fünf Minuten unten.«
Er war schneller unten.
Andrew Haggerty war groß und kahlköpfig, mit einer kleinen Brille und einem grau melierten Ziegenbart. Als er in einer dunkelblauen Anzughose aus dem Gebäude trat und sich noch eine dünne, schwarze Jacke überzog, wirkte er gehetzt und bedrückt. Älter, als er war. Ich hatte nachgerechnet. Er war erst fünfundvierzig, doch die letzten zehn Jahre hatten ihm offensichtlich zugesetzt. Es schien, als hätte sich nach den Ereignissen damals die darauf folgende Zeit mit einem Schlag gedehnt und sich seitdem wieder langsam zusammengezogen, denn der Mann, der vor mir stand, wirkte erschlafft.
Ich fühlte mich irgendwie mit ihm verbunden, auch wenn ich mich zugleich gegen eine Panikattacke wehren musste.
Du wirst nicht so enden.
Komme, was da wolle.
»Hier lang.« Er wies mir mit dem Kopf die Richtung. »Hier lang.«
Er führte mich um die Ecke des Gebäudes, eine weitere kurze Straße entlang, auf einen neuen Platz. Dieser hier war kleiner, mit Bänken bestückt und von Büschen eingefasst, dazu stand im Zentrum eine Bronzeskulptur aus drei Männern beim Bowlingspiel, von denen einer am Boden hockte und unter seiner Hand hindurch in die Ferne blickte. Sie wirkten geradezu unheimlich lebensecht, und ich wunderte mich fast, dass sie sich nicht bewegten.
»Hier.«
Haggerty deutete mit der offenen Hand auf eine der Bänke, und ich war nicht sicher, ob er sie mir nur zeigte oder mich einlud, mich zu setzen. An der Rücklehne
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