Schwarze Blumen: Thriller (German Edition)
hatte, dass Namen Menschen und Gegenstände miteinander verbanden. Von Fall zu Fall war es natürlich unvermeidlich; so konnte Cartwright seinen eigenen nicht zurücknehmen, abgesehen davon, dass er ihn für seinen Umgang mit der Außenwelt gelegentlich brauchte, doch von den anderen kannte ihn niemand. Wenn möglich, wurden Gegenstände nicht spezifiziert. Die Welt auf dem Hof war flüssig statt fest.
Cartwright ging gemächlich die Eingangsstufen hinunter und dann herum zur Rückseite des Hauses. Er stand vor einer ungepflegten Wiese mit einigen schütteren Stellen, die dem unrasierten Kinn eines heranwachsenden Jungen glichen. Rechts von ihm befand sich ein heller Betonbunker; geradeaus vor ihm eine Reihe Apfelbäume am Waldrand. Der Bunker war von innen beleuchtet, und dahinter legte sich ein schiefes Rechteck aus Licht wie ein Teppich über den Boden, dessen gelbe Farbe an den Rändern verblasste.
Er stand eine Weile da, atmete die klare Luft ein und horchte, ohne hinzuhören, auf die Schreie aus dem Bunker. Ohne Vorwarnung loderte der Schmerz wieder durch seinen ganzen Körper. Und dann noch einmal, als ließen seine Organe sämtliche Alarmglocken schrillen, während die Eindringlinge sie langsam, aber sicher erstickten. Einen Moment lang bekam er keine Luft, und über der kleinen Wiese erschienen Sterne wie Feenstaub. Sein Herz preschte voran, blieb stehen, machte erneut einen Satz, als hätte es die Orientierung verloren.
Cartwright wartete.
Allmählich verebbte der Schmerz. Seine Brust entkrampfte sich. Im selben Moment spürte er, wie sich auf dem nackten Boden seine Familie um ihn versammelte. Nicht mehr als eine Handvoll Schatten und Gestalten in der Dunkelheit. Es waren nicht viele; waren es nie gewesen. Doch er sah genug, um festzustellen, dass eine fehlte.
»Wo ist sie?«
Der Junge zuckte die Achseln. »Kann sie nicht finden.«
Cartwright starrte ihn an, und der Junge zuckte zurück.
»Wirklich nicht«, bekräftigte er.
»Hast du unter dem Haus nachgesehen?«
»Ja.«
Cartwright wandte sich wieder der Wiese zu und stieß einen verärgerten Seufzer aus. Sie musste irgendwo in den Nebengebäuden sein, dachte er, und so tun, als hätte sie die Rufe ihres Bruders nicht gehört. Weil sie mit ihren Puppen redete. Er würde ihr schon eins mit dem Gürtel überziehen, wenn sie sich blicken ließ. Außerdem würde er noch eine von ihren Puppen begraben, direkt außerhalb des Zauns, wo sie nicht drankonnte.
Doch das hatte Zeit. Bald ging die Sonne auf, und dies hier war der richtige Moment dafür. Wenn ein Tag in den anderen überging.
Cartwright pfiff zum Zeichen, dass es so weit war.
Einen Moment wurde das Licht auf dem Rasen vom Tanz dunkler Gestalten gebrochen. Dann verlosch es ganz, und die Tür fiel krachend zu. Sein ältester Sohn trug die Frau in der Dunkelheit über die Wiese. Sie versuchte zu schreien, doch das Klebeband um ihren Kopf erstickte den Laut. Sie versuchte auch, sich zu wehren, doch selbst wenn sie nicht durch den Monat in Gefangenschaft geschwächt gewesen wäre, hätte sie gegen seinen Sohn nicht die geringste Chance gehabt.
Die Frau im Bunker schrie erneut. Größtenteils Obszönitäten. Nun ja, das würde sich noch ändern. Das Fenster auf der anderen Seite war vergittert, jedoch Wind und Wetter ausgesetzt, und so würde sie sehen, was als Nächstes geschah. Falls sie wie die anderen war, würde sie, stand zu vermuten, ziemlich bald die Klappe halten. Auf jeden Fall würde die unflätige Sprache verstummen. Nach einer Weile wurden sie alle mucksmäuschenstill, weil sie wider alle Vernunft hofften, man würde sie dann nicht bemerken.
Hinter dem Haus regte sich eine Brise.
Cartwright blickte zurück, um sich davon zu überzeugen, dass seine Familie zusah. Sie sahen zu. Wie immer starrten sie entweder mit ausdrucksloser Miene oder aber sichtlich erregt über die Wiese.
Er drehte sich wieder um. Sein Sohn hatte die Bäume am hinteren Ende des Gartens erreicht. Das Loch war schon ausgehoben; der Spaten lehnte an einem der Baumstämme daneben, unweit eines Hügels aus Knochen und frischer Erde.
Als fünf Minuten später die Sonne aufstieg und ein Tag in den nächsten überging, als die Schreie der neuen Frau entsetztem Schweigen gewichen waren, nach dem Blitz der Kamera, sah Cartwright zu, wie sein Sohn etwas zappelndes Weißes in das Loch an den Wurzeln warf und sich dann anschickte, die Erde wieder darüberzuschaufeln.
12
A m nächsten Morgen verschloss ich die Notizen
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