Schwarze Blumen: Thriller (German Edition)
Felder und Wiesen, doch niemals weit, jedenfalls nicht allein. Im großen Ganzen spielte sich seine gesamte Existenz innerhalb des Zauns rund um den Bauernhof ab, während die Welt dahinter nebulös und schwer durchschaubar war: ein Ort, an dem man andere Beute jagt und umgekehrt anderen Jägern zur Beute wird.
Was wird aus ihm? Aus ihnen allen?
Wenn sich Cartwright die Zukunft ausmalte, überkam ihn ein anderer Schmerz. Er sah, wie dieser Ort hermetisch versiegelt wurde und von Polizisten wimmelte. Er hatte vor Augen, wie seine Familie in die Enge getrieben wurde, wie sie von einem großen Kreis zu einem winzigen Punkt zusammenschrumpfte, der am Ende ganz verlosch. Er hatte sie die Wahrheit gelehrt, wie sich die Dinge tatsächlich verhielten, jedoch versäumt, sie auf die Illusionen vorzubereiten, an die alle anderen glaubten. Solche Menschen würden, wenn er nicht mehr war, diesen Ort entdecken und überwältigen.
Sein Ältester kam ihm über den staubigen Hof entgegen und warf Cartwright ächzend den Holzklotz vor die Füße.
»Für das Feuer«, sagte er.
Cartwright nickte, auch wenn er mit seinen Gedanken woanders war. Jetzt, da sein Ende nahte, drängte sich ihm ein anderer Gedanke immer wieder auf: seine Tochter. Das war eher eine Sache der Vergangenheit als der Zukunft. Was ist aus dir geworden?, dachte er. Wenigstens hatte er jetzt ein Bild von ihr – ihr ungläubiges Gesicht am Viadukt, bevor sie kehrtgemacht und weggerannt war, so dass Dawson ihnen im Weg stand –, doch das reichte ihm nicht. Er wollte mehr erfahren. Hatte sie selber Kinder? War eine Saat von diesem Leben mit dem Wind verweht und hatte auf einem anderen Stück Erde Frucht getragen?
Du gehörst hierher.
»Geht es dir nicht gut?«
Cartwright kniff die Augen zusammen. Sein Sohn sah ihn ein wenig nachdenklich an. Niemand in der Familie wusste von seiner Krankheit, doch es hätte ihn enttäuscht, wenn sie nicht irgendetwas gespürt hätten, vor allem sein Ältester, der für seine Lehren schon immer empfänglich gewesen war. Die Krankheit drang ihm aus den Poren und wirbelte in seiner Umgebung wie Staub in der Luft. Es wäre seltsam, wenn sein Sohn die Veränderung, die immer schneller mit ihm vor sich ging, nicht mitbekommen hätte.
»Mir fehlt nichts«, sagte er.
Sein Ältester war nicht überzeugt.
»Was ist los?«, fragte er.
»Ich muss nur an sie denken.« Mehr brauchte er nicht zu sagen. Cartwright wusste, dass sein Ältester seine Schwester genauso vermisste wie er selber die Tochter, dass sie ihnen trotz der langen Zeit, die inzwischen vergangen war, nicht weniger fehlte. Bruder und Schwester hatten sich damals, als sie weglief, sehr nahegestanden, auch wenn aus ihnen, wie er sich vorstellen konnte, seitdem ganz verschiedene Menschen geworden waren.
Cartwright legte seinem Sohn die Hand auf die Schulter.
»Weißt du was? Ich glaube, sie kommt heute nach Hause. Merkst du das? In der Luft? Ich kann sie spüren.«
Sein Ältester schwieg, legte den Kopf schief, als nähme er Witterung auf, machte jedoch ein ausdrucksloses Gesicht. Nein, er spürte es nicht.
Einen Augenblick fragte sich Cartwright, ob er es selber ernst gemeint oder es nur gesagt hatte, um den Jungen auf andere Gedanken zu bringen. Manchmal kam es ihm so vor, als lebten sie hier von der Hand in den Mund, als sei die Philosophie dahinter eine Geschichte, die von Generation zu Generation immer weitergesponnen und hier und da je nach Bedarf ausgeschmückt wurde. Von dieser Warte aus zählte es im Grunde nicht, was Cartwright sagte, solange sie auf ihn hörten und ihm glaubten.
Nein, dachte er. Das stimmt nicht.
Es sind Muster zu erkennen.
»Jedenfalls kann ich sie spüren.« Er versuchte, überzeugender zu klingen. »Ich erkenne das Muster. Streng dich mehr an.«
Der Älteste sah sich noch ein paar Sekunden lang um. Er schloss die Augen und atmete die Welt ein. Dann sagte er: »Mag sein.«
»Mag sein.« Cartwright wiederholte seine Worte verächtlich, als gäbe sich der Junge nur nicht genug Mühe. Inzwischen war er selbst fest davon überzeugt; wenn er etwas nur oft genug wiederholte, erschien es ihm einleuchtender, wahrscheinlicher. »Es wird passieren«, sagte er, »kann gar nicht anders sein.«
Sein Ältester nickte, und Cartwright war zufrieden. So zufrieden, dass er nicht mehr an Muster dachte und den großen kosmischen Plan aus dem Auge verlor, als er sagte:
»Ich muss heute weg, zum Haushaltswarengeschäft. Wir brauchen ein paar Dinge. Ein paar
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