Schwarze Blumen: Thriller (German Edition)
erschien im Scheinwerferlicht ein Teil des verfallenen Hauses. In der ringsum herrschenden Dunkelheit leuchteten die Wände in einem helleren Fischweiß als zuvor. Während sie den Motor im Leerlauf ließ, spürte Hannah beim Anblick des Cottages die Atmosphäre. Sie fühlte sich an das Haus am Ende des Films The Blair Witch Project erinnert, diese verfallene, unbewohnte Hütte tief im Wald. Sie dachte an Staubkörnchen, die im Licht der Taschenlampe tanzen, an von Kinderhänden verschmierten, rissigen Putz an den Wänden. Sie schaltete den Motor aus. Die Welt verstummte, und die Ruine verschwand.
Hannah stieg aus, ging zum Kofferraum herum und holte heraus, was sie brauchte. Nur die Handschuhe und die Taschenlampe. Fürs Erste ließ sie die Stiefel, das Werkzeug und das Seil im Wagen, da sie zum einen nicht wusste, was sie erwartete, und sich zum anderen eingeredet hatte, ihre Suche würde ergebnislos verlaufen – im Prinzip so wie im Park oder der Mulberry Avenue, wo das Kreuzchen jeweils ein Rätsel bleiben würde.
Sie knipste die Taschenlampe an. Nach den Scheinwerfern fiel das Licht kümmerlich aus, doch es würde schon reichen.
Ein paar Insekten schwärmten gemächlich durch den Strahl.
Also schauen wir mal, was wir hier haben.
Sie würde nichts finden.
Hannah stapfte durch das wuchernde Gras und die Brombeerbüsche vor dem Bauernhaus. Sie lief in einem schrägen Winkel auf das Gemäuer zu, und die schwarzen Fensteröffnungen, unter denen Gras und Wein über die Simse wucherten, schienen ihr hinterherzublicken. Abgesehen vom leisen Knacken unter ihren Sohlen war es ausgesprochen still, doch sie beschlich ein seltsames Gefühl, als wäre sie nicht allein. Es lagen Trauer und Reue in der Luft, als sei hier etwas Schreckliches passiert, das dieses Gemäuer nicht vergessen konnte.
Reine Einbildung, sagte sie sich.
Hier ist nichts passiert.
Sie spähte ins nächste Fenster und leuchtete das Haus mit der Taschenlampe aus. Die Innenwände waren alle verschwunden, doch sie sah, wo sie einmal gestanden hatten: Kieferknochen aus Stein, die halb im Waldboden vergraben lagen. Alles andere war eingestürzt. Außer einem Mosaik aus Holz und Ziegeln im Unterholz war hinter der Fassadenmauer kaum noch etwas übrig geblieben. Kein Innenleben – es war ein Gesicht ohne Schädel.
Hannah leuchtete so weit sie konnte hinein. Und ließ den Strahl langsam wandern. Dabei hatte sie keine Ahnung, wonach sie suchte.
Die kühle Brise streichelte sie am Hals, blies ihr sanft ins Ohr. Sie achtete nicht darauf.
Nichts, was ihr ins Auge gesprungen wäre.
Aber damit war schließlich auch nicht zu rechnen gewesen. Das allein bewies noch gar nichts. Also arbeitete sie sich an den Resten der Seitenwand entlang voran und richtete die Taschenlampe auf das Unterholz. Es war an dieser Stelle so dicht und verschlungen, dass sie die Knie hochziehen musste, um hindurchzustapfen. Bei jedem Schritt hatte sie das Gefühl, durch Stacheldrahtrollen auf ganze Nester aus knackenden Zweigen zu treten. Klick. Knack.
An einem Backenzahn aus Stein, der als letzter Rest der Rückwand aus dem Boden ragte, blieb sie stehen, und in dem verlassenen Bauernhof herrschte Stille.
Da sah sie es.
Im nächsten Moment klingelte es ihr leise in den Ohren.
Hinter dem Haus wuchs das Brombeergestrüpp spärlicher. Der Strahl der Taschenlampe war verschwommen, als hätte sich ein bleicher Dunst über die Umgebung gesenkt, doch immerhin war darin vor dem Waldrand eine Lichtung zu erkennen. Eine Wand aus Bäumen und Schatten, die dem Licht trotzte. Unmittelbar vor den ersten Stämmen entdeckte sie einen Brunnen.
Die Stille klingelte ihr immer noch in den Ohren.
Erst als Hannah langsam durch das hohe Gras Richtung Waldrand lief und den zerbröselten Schädel des Bauernhauses hinter sich ließ, hörte es allmählich auf.
Dieser Brunnen war mindestens so alt wie das Gebäude, und viel schien davon nicht mehr übrig zu sein: ein Backsteinzylinder im wuchernden Gras. Aus dem Gestrüpp rings um seine Ruine ragten drei Streben auf, die in Kniehöhe abgebrochen waren. Der Brunnenrand war weitgehend zerbröckelt, und falls es je eine Überdachung gegeben hatte, war sie längst verfallen. Das ganze Ding hatte einen Durchmesser von gerade mal einem Meter.
Hannah lehnte sich vorsichtig über die Mauer, richtete den Strahl der Taschenlampe hinein und spähte in den moosbewachsenen Schlund. Weit unten in der Tiefe spiegelte sich der Lichtkegel in einer halbkreisförmigen
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