Schwarze Blumen: Thriller (German Edition)
mir so leid, mein Junge. So leid.«
»Danke.«
Dieses bohrende Gefühl steigerte sich beharrlich bis zur irrationalen Panik. Wann genau hatte ich das letzte Mal mit ihm gesprochen? Es war über zwei Wochen her, wurde mir bewusst – also wirklich länger als normal. Und wenn ich jetzt daran dachte, dann hatte er bei der Gelegenheit noch geistesabwesender als sonst gewirkt. Als ginge ihm etwas viel Ernsteres durch den Kopf …
Andererseits kann man sich in alle möglichen Befürchtungen hineinsteigern.
»Ich bin sicher, es ist nichts«, sagte ich. »Er ist nicht der Typ, der etwas Unbedachtes tut. Natürlich hat ihn Mums Tod schwer getroffen, aber er wird das in seinen Büchern kanalisieren.«
Wenn man es offen aussprach, klang es irgendwie lächerlich.
Marsha ließ sich nicht so leicht überzeugen. »Ob Sie wohl für mich nachsehen könnten, Neil? Ganz ehrlich gesagt, würde es mich beruhigen.«
Ich strich mir über die Stirn. Bis eben hatte es keinen Grund zur Sorge gegeben, und es gab auch jetzt keinen Grund. Sooft ich mir das einzureden versuchte, scheiterte ich kläglich.
»Ja«, sagte ich. »Selbstverständlich.«
Bis ans andere Ende der Stadt war es eine halbe Stunde mit dem Auto, doch eine realistische Einschätzung meines Alkoholkonsums ließ mich an meiner Fahrtüchtigkeit zweifeln. Nachdem ich versucht hatte, meinen Vater unter seinem Festnetzanschluss wie auch übers Handy zu erreichen, rief ich als Nächstes ein Taxi. Kurz vor acht hielt es vor seinem Haus. Der Motor tuckerte vor sich hin, während der Fahrer das Innenlicht anknipste, um den Zähler abzulesen.
Nachdem ich gezahlt hatte, betrat ich die Einfahrt und lief durch den Garten. Die alte Wäscheleine meiner Mutter war noch da und hing wie unter dem Gewicht unsichtbarer Kleider in der Mitte durch. Zur Wand hin waren alte Wäscheklammern an der Schnur befestigt. Außer der Küche, die um die Ecke lag, befanden sich alle Fenster in dieser Flucht. Als ich hinaufsah, stellte ich fest, dass auf dieser Seite des Gebäudes alle Gardinen zugezogen und die Fenster dunkel waren. Entweder war er schon im Bett – um diese Zeit undenkbar –, oder er war nicht da.
Ich hatte einen eigenen Schlüssel. Ich rief die Treppe hinauf. »Dad? Ich bin’s nur.«
Mir schlug Stille entgegen. Oben lag der Flur im Dunkeln, und aus der ganzen Wohnung drang kein Laut. Im ganzen Haus schien niemand zu sein, und der muffige Geruch, der in der Luft lag, ließ darauf schließen, dass die Haustür eine Weile nicht mehr geöffnet worden war.
Ich zog sie hinter mir zu und ging die Treppe hinauf. Auf meinem Weg knipste ich alle Lichter an. So irrational das auch sein mochte, schlug mir jedes Mal, wenn ich einen Raum betrat, das Licht anknipste und nichts Ungewöhnliches vorfand, das Herz bis zum Hals.
Er war nicht da.
Ich konnte kaum glauben, wie erleichtert ich darüber war.
Aber wo steckt er dann?
Das Fenster in der Küche war alt und wurde nur mit einem im Rahmen und in der Leibung verankerten Hebel fest verschlossen. Ich öffnete ihn und ließ einen Schwall Nachtluft herein, während ich nach draußen spähte. Die Garagen für alle vier Wohnungen lagen darunter im Hof, die meines Dads stand offen, und der Wagen war nicht da.
Einen Augenblick lang verharrte ich so, den Kopf aus dem Fenster gesteckt. Ich dachte nach. Mein Vater ging meines Wissens abends nur selten aus, und falls er für länger irgendwohin gefahren war, hätte er es mir vermutlich gesagt.
Ich schloss das Fenster und lief wieder den halben Flur zurück. Betrat sein Arbeitszimmer.
In meiner Kindheit war es mein Zimmer gewesen. Wie Spinnweben in den Ecken hingen immer noch Erinnerungen darin, doch mein Vater hatte so viel umgestellt, dass der Raum kaum wiederzuerkennen war; um mir das Zimmer, in dem ich aufgewachsen war, wieder vor Augen zu führen, musste ich den Vertiefungen im Teppichboden folgen und aus dem Gedächtnis die passenden Möbel ergänzen.
Rechts, wo mein Bett gewesen war, standen jetzt die ganze Wand entlang Regale. Die untersten Fächer füllten Nachschlagewerke und Ablagekästen, die übrigen füllten, bis unter die Decke, offenbar Hunderte Exemplare der eigenen Bücher meines Vaters.
Ich starrte sie einen Moment an. Es waren alles englische Originale, und er hatte jeweils sorgsam die gebundenen Exemplare jedes Romans durch die entsprechenden Taschenbücher ergänzt und die neueren Auflagen dahintergestellt. Die Übersetzungen waren schwerer zu identifizieren, doch auch
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