Schwarze Fluten - Roman
Trophäenraum handelte. An zwei Wänden hingen die präparierten Köpfe eines Löwen, eines Tigers, einer Gazelle mit herrlichen geringelten Hörnern und anderer Tiere, die er offenbar in Afrika erlegt hatte.
Eine weitere Wand war mit zahlreichen gerahmten SchwarzWeiß-Fotos geschmückt, darunter mehrere Aufnahmen von einer Safari. Der junge Constantine Cloyce, bestimmt nicht älter als dreißig, war trotz seiner zeittypischen Frisur und seines üppigen Schnurrbarts leicht erkennbar. Er posierte mit verschiedenen erlegten Tieren, ein Gewehr in der Hand. Auf manchen Bildern sah er ernst und stolz drein, auf anderen grinste er ebenso stolz.
Wenn Cloyce die Zeit und die Mittel besessen hatte, um in so jungem Alter auf Großwildjagd zu gehen, dann musste er das Zeitungsimperium, auf dessen Basis er später sein Filmstudio gegründet hatte, geerbt und nicht selbst aufgebaut haben. Und wenn er auf den Fotos dreißig war, dann hatte die Safari 1908 stattgefunden, vierzehn Jahre vor dem Bau von Roseland.
Auf manchen Fotos tauchte ein weiterer junger Mann auf. Es handelte sich offenbar um einen Freund von Cloyce, denn zweimal standen die beiden nebeneinander hinter den Tieren, die sie erlegt hatten, und hatten sich die Arme um die Schultern gelegt. Dass es Henry Lolam war, war nicht schwer zu erkennen, denn er sah fast genauso aus wie heute, obwohl er damals einen anderen Namen gehabt haben musste.
Ein Stück weiter hingen Aufnahmen von Roseland während der Bauzeit. Auch hier posierte Cloyce teilweise mit anderen.
Zuerst sah ich Nikola Tesla. Er taucht auf vier Bildern auf, immer mit Anzug und Krawatte, während die anderen leger gekleidet waren. Auf zwei Bildern wirkte seine habichtartige Gestalt mit dem intensiven Gesichtsausdruck so eindrucksvoll, dass die anderen Personen nicht realer aussahen als lebensgroße Pappfiguren. Auf den beiden anderen Fotos sahen seine Begleiter durchaus real aus. Dafür schien Tesla sich nicht recht wohlzufühlen, so als meinte er, eigentlich nicht zu dieser Gesellschaft zu passen.
Auf einem Schnappschuss war Mrs. Tameed neben Cloyce zu sehen. Inzwischen hätte man sie auf vierzig geschätzt, während sie auf dem Foto in den Zwanzigern zu sein schien. Wäre der Altersunterschied noch größer gewesen, so hätte ich sie womöglich nicht erkannt, außer vielleicht an ihrer Größe. Sie trug den Flapper-Look der 1920er Jahre, mit dem die junge, freche Generation damals ihre Eltern schockierte: kurzes Haar, Glockenhut, ärmelloses, knielanges Kleid, Mieder mit gewagtem Dekolleté im V-Ausschnitt.
Ich konnte mir nur schwer vorstellen, dass Mrs. Tameed je so frivol und vergnügt gewesen war, wie das Bild sie zeigte. Eher hätte ich gedacht, sie hätte nach Knobelbechern verlangt, sobald sie laufen konnte, und als junge Frau zutiefst bedauert, dass ihr kein Hitlerbärtchen wuchs.
Es gab noch ein zweites Foto, auf dem sie neben Cloyce zu sehen war. Auf seiner anderen Seite stand diesmal Victoria Mors, im selben flotten Stil wie Mrs. Tameed gekleidet. Die beiden jungen Frauen hatten sich bei Cloyce eingehängt, und das Trio sah beschwipst und ein wenig verlottert aus.
Auf dem Bild wirkte Victoria genauso jung wie heute, zart, koboldhaft und etwas keck. Ich fragte mich, ob sie ihren jugendlichen Zustand konstanter aufrechterhielt als die anderen. Und wenn sie das tat – warum?
Eine weitere Aufnahme, die eventuell schon vor 1920 entstanden war, zeigte Cloyce mit vier Männern, von denen ich nur zwei erkannte. Ein wenig abseits stand Paulie Sempiterno. Er sah etwas jünger aus als heute und blickte so finster in die Kamera, als misstraute er nicht nur dem Fotografen, sondern auch der Tatsache, dass es Fotoapparate gab. Der andere Bekannte war Jam Diu, der etwa zehn Jahre älter aussah als jetzt. Er trug weiße Schuhe, einen weißen Anzug und einen weißen Panamahut. Außerdem stellte er ein Fu-Manchu-Bärtchen zur Schau, dessen Spitzen mindestens fünf Zentimeter unterhalb seines Kinns baumelten.
Nun hatte ich auf den Fotos alle derzeitigen Bewohner von Roseland bis auf Mr. Shilshom gesehen. Falls der jedoch damals einen normalen Körperumfang gehabt hatte, so hätte ich ihn nicht wiedererkannt.
Die präparierten Tierköpfe an zwei der Wände verliehen dem Raum nicht die Herrenklub-Atmosphäre, die wohl beabsichtigt war. Stattdessen kam mir jeder Kopf wie der Tod persönlich vor, der sein Knochengesicht hinter Tiermasken verbarg, ähnlich wie auf dem Fest von Prinz Prospero, wo er ein
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