Schwarze Fluten - Roman
Geschmack zu erkennen, welches der Pulver Kokain, welches Heroin und welches irgendetwas anderes war, zweifelte ich nicht daran, dass es sich um Drogen handelte. Zum einen lag auf einem Silbertablett neben den Gläsern ein silbernes Röhrchen, wie es stylische Kokain-Konsumenten zum Inhalieren verwendeten. Daneben lagen ein bauchiges Löffelchen, eine halb abgebrannte Kerze und steril verpackte Injektionsspritzen.
Cloyce war eine imposante Gestalt und hielt sich immer so aufrecht wie ein Aristokrat, der erwartete, bemerkt und bewundert zu werden. Er war so breitschultrig und muskulös, so scharfsichtig und wachsam, dass ich nie auf die Idee gekommen wäre, er könnte schwer drogensüchtig sein. Aber wenn er Teslas Maschine nach Belieben einsetzen konnte, um die Jahre zurückzudrehen und wieder so jung zu sein, wie er wollte, dann konnte er vielleicht auch die zerstörerischen Wirkungen von Heroin und Ähnlichem rückgängig machen.
Falls es hier aber tatsächlich möglich war, alle negativen Folgen von Drogenkonsum aufzuheben, dann waren womöglich alle sieben Bewohner von Roseland Junkies. Da sie sich selbst in diesen Mauern eingesperrt hatten, um dem Tod zu entkommen, dabei jedoch immer weniger erlebten, hatten sie allen Grund, Pillen einzuwerfen, Coke zu schnupfen und sich irgendwelches Zeug in die Venen zu spritzen. Da sie immer weniger Bedürfnis nach Reisen verspürten, machten sie ihre Trips nur noch mithilfe von Aufputschmitteln und Halluzinogenen.
Im Medizinschränkchen fand ich zahlreiche Packungen mit verschreibungspflichtigen Medikamenten. Offenbar dienten sie alle nicht der Behandlung von Krankheiten, sondern nur als Genussmittel.
Das Frösteln, das ich nicht loswurde, nahm zu, bis ich das Gefühl hatte, Eisstückchen im Blut zu haben.
Diese Leute hatten offenbar keinerlei moralische Hemmungen mehr. Sie erwarteten, jahrhundertelang zu leben, hatten sich deshalb von jedem menschlichen Mitgefühl verabschiedet und meinten, ihre Taten würden folgenlos bleiben. Deshalb entsprach ihr Potenzial für Brutalität nicht dem gewöhnlicher Männer und Frauen, sondern dem herzloser Götter, wie man sie in primitiven Epochen ersonnen hatte. Sie waren unsagbar bösartig und verfolgten ihre dunkelsten Begierden absolut erbarmungslos.
Wenn zu alledem auch noch die Wirkung von Drogen kam, waren sie grausamer als Vampire. Das hieß, die Bewohner von Roseland waren eindeutig größere Ungeheuer als die Gestalten, die Kenny als Keiler bezeichnete.
Der Inhalt, den ich bisher auf den DVD s vermutet hatte, musste also nicht einmal halb so grässlich sein wie das, was sich tatsächlich darauf befand.
Plötzlich wusste ich, dass die Behauptung von Victoria Mors, die anderen würden zwar immer neue Opfer für Cloyce beschaffen, hätten jedoch kein Interesse an Folter und Mord, eine blanke Lüge war. Wenn sie tatsächlich nicht an den blutigen Orgien von Cloyce teilnahmen, dann deshalb, weil sie ihre eigenen scheußlichen Begierden zu befriedigen hatten.
Ich hatte gedacht, den Geheimnissen von Roseland endlich auf die Spur gekommen zu sein, doch nun war mir klar, dass mehr und Schlimmeres noch im Verborgenen lag. Danach forschen würde ich nicht, denn ich musste nicht mehr wissen. Mehr konnte ich gar nicht ertragen. Mich mit derart dämonischen Dingen zu intensiv zu beschäftigen – ich glaube, das hätte mich wahnsinnig gemacht.
In dem Moment, als ich aus dem Badezimmer trat, meinte ich, hier fertig zu sein, fand mich jedoch von einem Ecktisch auf der anderen Seite des Schlafzimmers angezogen. Darauf stand ein Computer. Meine Intuition hatte mich an der Angel und lockte mich zu einem Stapel von Blättern, die mit der Rückseite nach oben auf dem Tisch lagen.
Als ich sie umdrehte, sah ich, dass es sich um Ausdrucke von Zeitungsartikeln handelte, die Cloyce aus dem Internet heruntergeladen hatte. Es waren keine neueren Nachrichten, sondern Berichte über einen gewissen jungen Grillkoch, der vor über achtzehn Monaten in einem Einkaufszentrum von Pico Mundo bei einem Mordanschlag eingegriffen und die Täter aufgehalten hatte. Einundvierzig Menschen waren verwundet worden, neunzehn waren gestorben. Hätte der junge Grillkoch nicht gehandelt, wären laut Polizeiangaben Hunderte getötet worden. Der sogenannte Held hielt sich selbst jedoch nicht für einen Helden und lehnte es ab, mit Medienvertretern zu sprechen. Das einzige verfügbare Foto von ihm, das in den Berichten abgebildet war, stammte aus dem Jahrbuch seiner
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