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Schwarze Fluten - Roman

Schwarze Fluten - Roman

Titel: Schwarze Fluten - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean Koontz
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einen oder anderen Grad Gefangene dieser Mauern, zwar nicht körperlich, aber doch psychisch.
    Je länger sie lebten, desto länger wollten sie leben. Und je länger sie lebten, desto mehr schrumpfte ihre Welt zusammen. Ihr Erfahrungsspektrum verringerte sich von Jahr zu Jahr. Ihre psychopathische Arroganz, ihr Gefühl einer gottgleichen Macht und ihre Verachtung für uns »Ticker« verdichteten sich kontinuierlich zu einem immer giftigeren Gebräu.
    Ich fragte mich, wer die Menschen waren, mit denen Constantine Cloyce die perverse Gemeinschaft von Roseland gegründet hatte. Kamen sie alle aus den 1920er Jahren, hatten sie damals schon zu seinem Personal gehört? Was waren ihre ursprünglichen Namen gewesen, die sie nun überlebt hatten?
    Falls sie wirklich alle aus dieser Zeit stammten, mussten sie wesentlich wahnsinniger sein, als ich bisher gedacht hatte. Der Spießrutenlauf, der mich erwartete, wenn ich den Jungen retten wollte, war wesentlich stachliger als das Arsenal aus Prismen an der Decke.
    Während ich über das unnatürlich lange Leben der Bewohner von Roseland nachdachte, tauchten zwangsläufig Erinnerungen an Stormy Llewellyn auf, die so jung gestorben war. Aus Notwendigkeit hatte ich Frieden mit diesem Verlust geschlossen, um mit einer gewissen Leere, aber ohne ständige Qual leben zu können. Nun drückte mich ein melancholischer Schmerz länger zu Boden, als ich dort hatte liegen wollen. Wenn es Nicola Tesla gelungen war, mit der Erfindung einer fantastischen Maschine den Tod zu besiegen, dann hätte ich ihn ebenfalls besiegen sollen, indem ich an jenem verzweifelten Tag in Pico Mundo klüger und schneller gewesen wäre, als ich es war. Stattdessen war ich zum ewigen Liebhaber einer Frau geworden, die ich auf dieser Welt nie wieder küssen konnte.
    Nachdem ich den vier Suchenden mehr als genug Zeit gelassen hatte, ins obere Geschoss zu gelangen und nicht mehr in der Nähe von Cloyce’ Räumen zu sein, erhob ich mich, zog die Pistole aus dem Holster, nahm den Kissenbezug vom Boden und schlich mich schattenhaft am dunklen Rand des Salons entlang.
    Mancher achtet Schatten wert, dem ist Schattenheil beschert.
    Mit diesen Worten wird der Prinz von Arragon im Kaufmann von Venedig beschrieben, als er nicht die richtige Wahl trifft und durch diese falsche Entscheidung jede Hoffnung verliert, Portia zu heiraten.
    Mein Freund Ozzie Boone, der Kriminalschriftsteller, hat mich früher gern damit aufgezogen, dass ich in der Schule so uninteressiert war und nicht einmal etwas von Shakespeare mitbekommen habe. Seit ich Pico Mundo verlassen habe, beschäftige ich mich daher intensiv mit dessen Werken, wenn es die Zeit erlaubt. Ursprünglich habe ich seine Stücke und Sonette gelesen, damit Ozzie stolz auf mich sein konnte, wenn ich eines Tages in meine Heimatstadt zurückkehrte. Aber schon lange lese ich sie, um einen Blick auf eine Welt zu erhaschen, die zu Shakespeares Zeiten in gutem Sinn so anders war als heute.
    Seine Worte, die vor über vierhundert Jahren niedergeschrieben wurden, machen mir oft Mut, mich nicht unterkriegen zu lassen. Aber manchmal kommen mir Verse in den Sinn, die einen dunkleren Ton anschlagen, und sie durchbohren mich, wie ich lieber nicht durchbohrt werden würde.
    Mancher achtet Schatten wert, dem ist Schattenheil beschert.

38
    Die Räume des Herrn von Roseland befanden sich im Westflügel. Wären die Fenster nicht von Stahlplatten geschützt gewesen, so hätte sich mir ein Blick über die Landschaft geboten, die gemächlich zur Küste und dem eine Meile weit entfernten Meer absank.
    Cloyce hatte nicht nur eine oder zwei Lampen brennen lassen, sondern sämtliche Lichter, als hätte er bei seiner Rückkehr nicht einen einzigen Moment im Dunkeln verbringen wollen, während er auf der Schwelle nach dem Schalter tastete.
    Er hatte einmal behauptet, neun Jahre lang nicht geschlafen zu haben, doch ich war sicher, dass es sich dabei um eine gewaltige Übertreibung, wenn nicht gar um blanken Unsinn handelte. In Wahrheit hatte er neun Jahre oder länger wohl nicht gut geschlafen, vielleicht weil er die ganze Nacht das Licht anließ, um keine Dunkelheit ertragen zu müssen, die so pechschwarz war wie sein Gemüt.
    Seine Wohnung war so üppig möbliert wie jeder Raum im Haus. Die Tiffanylampen, die antiken Bronzen und die Gemälde hätten bei einer Versteigerung Millionen erbracht.
    Ich fand nichts besonders Merkwürdiges, bis ich in ein geräumiges Zimmer kam, bei dem es sich wohl um seinen

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