Schwarze Fluten - Roman
Unwürdigkeiten zu ersparen, musste ich zum Rächer werden. Um andere davor zu bewahren, von seiner Verworfenheit angesteckt zu werden, indem sie ihm bei seinen Taten zusahen, musste ich zum Rächer werden. Um zu verhindern, dass die Technologie zur Manipulation der Zeit in die Hände von Behördenvertretern fiel, die davon korrumpiert werden würden, falls sie es nicht schon waren, musste ich zum Rächer werden.
Rächer sind keine Helden.
Ich hatte mich nie als Held gesehen, aber dass ich so etwas werden würde, hatte ich mir erst recht nicht vorgestellt.
Ein Rächer maßt sich eine Autorität an, die er nicht besitzt. Ich maßte mir das Recht an, das Gedenken an die toten Frauen vor der Besudelung zu bewahren, und ich maßte mir die Autorität an, zu entscheiden, dass die hier installierte Technologie unweigerlich zu verbrecherischen Zwecken verwendet werden würde, sofern sie jene, die davon erfuhren, nicht zugrunde richtete.
Ein Rächer verstößt gegen die gesellschaftliche und die heilige Ordnung. Hamlet ist nicht der Held des gleichnamigen Stücks. Seine Mission besteht darin, die Wahrheit auszusprechen und vielleicht auch zum Rächer zu werden. Während er an den ersten Teil dieser Mission nicht ganz glauben kann, nimmt er die Rolle des Rächers schließlich voll und ganz an.
Rächer müssen immer dasselbe Schicksal erleiden, das sie anderen zuteil werden lassen.
Hamlet überlebt das ihm gewidmete Schauspiel nicht. Nachdem Moses befohlen hat, dreitausend Menschen zu töten, stirbt er vor dem Einzug ins Gelobte Land.
Wenn jemand getötet hatte wie Cloyce, so war er ein Mörder, denn er hatte zwar aus Zwang, aber aus den falschen Gründen heraus getötet.
Ein Rächer begab sich auf dunkleres Gebiet. Er war nicht aufgrund eines psychischen Ungleichgewichts, einer emotionalen Verwirrung oder einer selbstsüchtigen Begierde gezwungen zu töten. Vielmehr traf er die sorgfältig überlegte Entscheidung, mehr Menschen zu töten, als absolut notwendig war, um sich selbst zu schützen und Unschuldige zu retten. Selbst wenn er aus einem richtigen Grund tötete, so rebellierte er doch gegen die soziale Ordnung und gegen die höchste Autorität.
Wer rächt, wird der Rache anheimfallen. Indem ich in Roseland diese düstere Rolle übernahm, würde ich meinen eigenen Tod herbeiführen.
Dennoch wusste ich, dass ich meine Entscheidung nicht zurücknehmen würde.
Ich saß unter den glasäugigen Tierköpfen und zögerte, aufzustehen und meinen Weg zu gehen.
Dann stand ich auf und ging endlich weiter. Der letzte Privatraum von Constantine Cloyce war sein Schlafzimmer mit dem dazugehörigen Bad.
39
Das Schlafzimmer sah zwar relativ gewöhnlich aus, aber womöglich war dies der Ort, an dem Cloyce all die Jahre gefoltert und getötet hatte. Erfahren hätte ich das nur, wenn ich mir einige der DVD s angesehen hätte, doch das würde ich nie tun.
Das Bettzeug war abgezogen. Wahrscheinlich befand es sich jetzt in der Waschküche, wo ich Victoria Mors an der Weiterarbeit gehindert hatte.
Einen deutlichen Gegensatz zu den antiken Möbeln bildete der große Plasmabildschirm, der gegenüber dem Bett an der Wand hing. Ich konnte mir vorstellen, was Cloyce sich nachts am liebsten ansah, während er darauf wartete, vom Schlaf übermannt zu werden.
Es gab jedoch noch eine andere Möglichkeit. Bevor er sich an einer neuen Gefangenen vergriff, bereitete er sie vielleicht auf das, was sie erwartete, vor, indem er ihr ein paar seiner Lieblings- DVD s vorspielte.
Der Tag in Pico Mundo, an dem ich Stormy verloren habe, wird immer der schlimmste Tag meines Lebens bleiben. Allerdings scheint jeder Ort, an den ich komme, auf die eine oder andere Weise düsterer zu sein als der vorher.
Ich zitterte und konnte nicht damit aufhören.
In dem geräumigen Badezimmer standen auf einer Ablage mehrere antike Apothekergläser mit Deckeln, die so eng saßen wie Gummistopfen. Die Gläser enthielten weiße Pulver von leicht unterschiedlicher Konsistenz.
Ich habe nie daran gedacht, meiner Gabe, die mich so belastet, zu entfliehen, indem ich irgendwelche Drogen schlucke. Das, was ich sehe, ist merkwürdig genug, ohne dass ich meinem Hirn Halluzinationen zu entlocken bräuchte. Außerdem habe ich an anderen beobachtet, dass jede chemisch erzeugte Euphorie sich so verhält, als wäre sie dem Gesetz der Schwerkraft unterworfen: Was aufsteigt, muss irgendwann auch wieder abstürzen.
Obwohl ich nicht in der Lage gewesen wäre, an Geruch oder
Weitere Kostenlose Bücher