Schwarze Heimkehr
Mädchen verloren und wie durch ein Wunder wiederentdeckt. Für sie war dies keine zweite Chance, keine einmalige und flüchtige Gelegenheit, die Sünden der Vergangenheit wiedergutmachen zu können - aber für ihn. Und der Gedanke, daß er Rachel vielleicht erneut verlieren würde diesmal für immer - war unerträglich.
»Ich weiß, daß sie Himmel und Erde für sie in Bewegung setzen würden, Lew«, sagte Jenny und strafte seine Gedanken Lügen. »Ich sehe das an jeder Ihrer Bemühungen für sie. Aber hören sie mir zu. Wenn die Niere nicht registriert ist, darf man sie nicht für eine Transplantation verwenden. Tut man es trotzdem, vergibt man nicht nur eine Sünde, die so schrecklich ist, daß es dafür keinen Namen gibt, sondern man macht sich mitschuldig.«
Ihre grünen Augen sprühten vor Willensstärke, und Croaker wußte, daß sie an einem toten Punkt angelangt waren. Was geschah, wenn eine unwiderstehliche Kraft auf ein unbewegliches Objekt traf?
Das Quälende war, daß er wußte, daß sie recht hatte. Er dachte an die beiden Mörder, Antonio und Heitor, die Organe sammelten wie Champignons im Wald. Damit durfte und wollte er nichts zu tun haben. Aber wenn nur die leiseste Hoffnung bestand, daß die Niere, die Majeur ihm angeboten hatte, so sauber war, wie der Rechtsanwalt behauptet hatte, mußte Croaker bis ans Ende der Straße gehen, selbst wenn dieses Ende so schrecklich wäre, daß er es nicht ertragen würde.
»Und wenn mit dieser Niere alles rechtmäßig gelaufen ist?« fragte Croaker.
»Hören sie auf zu träumen, Lew.«
Doch in diesem Punkt nachzugeben kostete Jenny nichts, und so führte sie ihn zu einem Laptop, wo sie sich einloggte. Chirurgen und Musiker haben dieselbe Art von Fingern, dachte Croaker. Es ist, als besaßen sie statt zwei Händen zehn, deren Finger sich unabhängig voneinander bewegten, um ihre Aufgabe zu erledigen.
Jenny gab mit sicheren, schnellen Bewegungen die Zugangscodes für das UNOS-System in Richmond ein. Ihr Gesicht wirkte durch das Licht des Monitors ein wenig unheimlich wie das einer zauberhaften Königin in einem Kindermärchen oder vielleicht auch in einem Drama von Shakespeare. Als sie in die Unterlagen blickte, um die Nummer von Majeurs Niere zu suchen, wußte er, daß die Online-Verbindung zustande gekommen war. Sie gab die Nummer ein und drückte auf die Enter-Taste. Dann entfuhr ihr ein überraschter Seufzer.
»Was ist?« fragte Croaker. Aus seinem Blickwinkel sah er das Bild auf dem Monitor nur verschwommen.
»Das ist unmöglich!« sagte Jenny, während sie sich zu ihm umdrehte. »Die verflixte Niere ist registriert! Die Daten müssen in den Computer eingegeben worden sein, während ich operiert habe. Das Organ ist für Rachel reserviert.«
Croaker spürte, wie ihn ein Schauer der Erleichterung durchfuhr. »Die Niere existiert«‚ flüsterte er. »Es gibt sie, und es ist alles legal.« Aus der totalen Finsternis hatte sich ein einzelner Lichtstrahl gelöst, der seinen Weg erleuchtete. Er bewegte sich auf einem einsamen und gefährlichen Pfad, und es war nur allzu wahrscheinlich, daß diese Geschichte seine Seele zerfressen würde. Aber für Rachel war es der gesegnete Weg, der sie wieder ins Leben zurückbringen konnte. »Gott sei Dank.« Dann fiel ihm etwas ein. »Jenny, wenn das Organ bereits in der Datenbank des UNOS registriert ist, könnten wir versuchen, es anzufordern.«
Jenny drückte ein paar Tasten und schüttelte dann den Kopf. »Keine Chance. Ich sehe hier nur eine Meldung, daß die Niere noch unterwegs sei. Das ist nicht allzu ungewöhnlich. Indem Augenblick, wo der Spender seine Einwilligung gibt, wird mit den Blut- und Antigentests begonnen, und dann werden die genauen Daten des Organs in das Computernetz eingegeben. Die Zuteilung der Organe erfolgt nach den Gesichtspunkten Dringlichkeit, Kompatibilität und geographische Nähe, und deshalb müssen wir davon ausgehen, daß der Spender in Südflorida lebt. Aber die Niere selbst ist noch nicht verfügbar.«
Verdammt, dachte Croaker. Er hatte gehofft, Majeur bei seinem eigenen Spiel austricksen zu können, indem er sich das Organ holte, ohne die Abmachung einlösen zu müssen. Aber das UNOS-System spielte nicht mit.
Jenny schaltete den Laptop ab und beugte sich mit aufgestützten Armen über den Schreibtisch. Sie schloß die Augen. Croaker beobachtete ihr anmutiges und energisches Profil, das sich gegen die gedämpfte Nachtbeleuchtung des Dialysezentrums abzeichnete.
Dann wandte
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